Von Anklage bleiben nur Schläge übrig: Teil-Freispruch für Familienvater
Von Anklage bleiben nur Schläge übrig: Teil-Freispruch für Familienvater
Die Anklage hat sich pulverisiert. Ursprünglich enthielt sie 300 Fälle des sexuellen Missbrauchs der ältesten Stieftochter, 10 der Vergewaltigung der Ehefrau. Außerdem 300 Fälle der Körperverletzung der drei Stieftöchter (9, 12, 14 Jahre) und der zwei leiblichen Söhne (2, 3). Seit Frühjahr 2023 ist er in U-Haft. Der Angeklagte (33) streitet die Sexualdelikte ab. Er gesteht “nur” die Schläge der Töchter und einen Aschenbecher-Wurf auf seine Frau, für den es Zeugen gibt. Die Familie lebte zur Tatzeit im Landkreis Tirschenreuth.
Das Gericht setzte schon nach dem ersten Prozesstag den Haftbefehl aus. Grund: Die Frau (31) zog in der Verhandlung ihre Strafanträge zurück und verweigerte die Aussage. Auch die Aussage des mutmaßlichen Missbrauchsopfers (unter Ausschluss der Öffentlichkeit) soll dürftig ausgefallen sein. Nach Ansicht einer sachverständigen Psychologin ist die Aussage nicht verlässlich genug für eine Verurteilung.
Widersprüche bei Belastungszeugen
Die Jugendschutzkammer unter Vorsitz von Richter Peter Werner verurteilt den 33-Jährigen wegen gefährlicher und vorsätzlicher Körperverletzung in 25 Fällen zu 1,5 Jahren Haft auf Bewährung. Unter folgenden Auflagen: Er bekommt einen Bewährungshelfer, jeder Wohnsitzwechsel muss gemeldet werden. “Die wesentlichen Vorwürfe der Anklage haben sich nicht bewahrheitet.”
Die Ehefrau habe die angeblichen Vergewaltigungen schon bei der Polizei sehr allgemein geschildert, vor Gericht dann gar nichts mehr gesagt. Zum sexuellen Missbrauch der Stieftochter habe schon vor Anklageerhebung ein aussagepsychologisches Gutachten vorgelegen, das auf Widersprüche hinwies. Auch vor Gericht habe die 14-Jährige “lustlos und pauschal” ausgesagt. Der Vorsitzende Richter: “Auf so etwas kann man eine Verurteilung nicht stützen.”
Verteidiger: Andere Vorstellung von Erziehung
Selbst Staatsanwalt Matthias Biehler muss am Ende auf Teil-Freispruch plädieren (1 Jahr 9 Monate auf Bewährung). Übrig bleiben 25 Ohrfeigen und der Aschenbecher-Wurf und damit vorsätzliche und gefährliche Körperverletzung. „Das ist erwiesen. Nicht mehr. Aber auf keinen Fall weniger.“
Die Verteidiger Stephan Schütz und Kay Schnarrer schließen sich an (1 Jahr 3 Monate). Schnarrer sieht beim Angeklagten eine kulturell bedingte, unterschiedliche Vorstellung von Erziehung: “Auch wir haben unserem Mandanten deutlich gesagt: Wir haben dieses Recht nicht. Wir haben in diesem Land den Anspruch auf eine gewaltfreie Erziehung.”
Bei Kripo schwer belastet
Bei der Kripo hatten Mutter und Töchter den 33-Jährigen noch schwer belastet. Die drei Schwestern berichteten von täglichen Schlägen wegen Nichtigkeiten. Die Älteste berichtete von sexuellem Missbrauch ab 2021, als ihre Mutter zur Geburt des jüngsten Bruders im Krankenhaus war. Als sie sich ihrer Mutter anvertraute, soll es zu Vergewaltigungen der 31-Jährigen gekommen sein, weil die sich daraufhin verweigert haben soll.
Ein befreundetes Ehepaar aus Syrien bestätigte der Kripo von Gewalt in der Familie. Man sei öfter dazwischen gegangen, sah auch einmal eine geschwollene Lippe. Der syrische Bekannte (40) relativiert vor Gericht seine Aussagen bei der Polizei: “Er hat die Kinder ganz normal geschlagen, wenn sie Stress gemacht haben.” Er deutet mit der Hand eine Ohrfeige an: “Ganz normal. Wie in anderen Familien auch.” Die Männer waren 2015 gemeinsam über die Türkei nach Deutschland gekommen.
Zeugen sahen blaues Auge
Der Kindergarten schaltete schon 2020 das Jugendamt ein, weil das jüngste Mädchen (6) von Schlägen berichtet hatte. Das Jugendamt setzte einen Familienhelfer ein. Dieser Familienhelfer, ein arabischstämmiger Mann, sagt als Zeuge aus: “Bei mir haben sich die Töchter und die Frau nie beschwert.” Er kümmerte sich vor allem um die finanziellen Probleme der Familie. Der Lohn des 33-Jährigen als ungelernter Arbeiter auf dem Bau reichte hinten und vorne nicht. Der Familienhelfer sah bei der Mutter einmal ein blaues Auge, ebenso der Vertreter des Jugendamtes. Dies wurde mit Stürzen erklärt.
Den Angeklagten belasten zwei arabische Sprachnachrichten an seine Schwiegermutter im Libanon. Er werde das Land mit den zwei Söhnen verlassen. Weiter sagt er wörtlich: “Ich will ihr nur noch zwei Klatschen ins Gesicht geben, damit sie weiß, dass ich sie jederzeit erreichen kann.” In der zweiten Nachricht gesteht er der Schwiegertochter den Aschenbecher-Wurf: “Keine Sorge. Sie stirbt nicht, sie hat sieben Seelen. Es ist eine Wunde und die hat geblutet.”
Wie die Kripobeamtin berichtet, habe die Ehefrau im Laufe der Ermittlungen plötzlich nicht mehr aussagen wollen. Sie habe vielmehr gewollt, dass der Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen werde. Seiner Mutter in Syrien gehe es schlecht. “Sie betonte aber, was sie bisher gesagt habe, sei korrekt”, sagt die Kommissarin. Parallel informierte die JVA, dass der Angeklagte offenbar an ein Handy gekommen sei und seine Frau wegen ihrer Aussagen aus dem Gefängnis heraus angerufen habe.
Der 33-Jährige kündigte am Dienstag an, noch am selben Tag Kontakt zu seinen Kindern aufnehmen zu wollen. Das Gericht klärte ihn eingehend über die Bedeutung einer Bewährungsstrafe auf.




