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Dritter Tag im Champagner-Prozess: Ein Schluck verändert das Leben dieser Frauen

Weiden. Am Freitag, dem dritten Tag im Champagner-Prozess, wird es still im Gerichtssaal. Im Mittelpunkt stehen die Aussagen von Carola Portz und Nicole Bock, zwei Frauen, deren Leben sich durch einen Schluck vermeintlichen Champagners auf den Kopf gestellt hat.

Dritter Tag im Champagner-Prozess: Ein Schluck verändert das Leben dieser Frauen

Links Nebenklägerin Nicole Bock, rechts die Geschädigte Carola Portz. Mit dem Rücken zur Kamera der Angeklagte Theo G., vorne die Strafkammer mit den Richtern Vera Höcht, Peter Werner und Florian Bauer sowie den Schöffen. Foto: Christine Ascherl

Irgendwie surreal: Da sitzen zwei schöne blonde Frauen im Gerichtssaal, beide Oberpfälzerinnen. Sie haben etwas gemeinsam: Beide haben von dem vermeintlichen Champagner genippt, der kurz nach Mitternacht am 13. Februar 2022 im „La Vita“ ausgeschenkt wurde. Beider Leben ist nicht mehr das, was es vorher war. Die Frauen haben schwere neurologische Folgeschäden.

Carola Portz, 41, Krankenschwester und Mutter von zwei Teenagern. Nicole Bock, 46, inzwischen freiberufliche Kosmetikerin, weil sie als Kommunikationscoach nicht mehr arbeiten kann. Ihr guter Freund Harry Z. starb in dieser Nacht.

Keine drei Meter entfernt sitzt Theo G. aus dem niederländischen Arnheim, 46, vermutlich einmal ein echter Sunnyboy, der gern Party macht. Seine Social-Media-Accounts sind voll fröhlicher Fotos: Skipiste, Strand, Mischpult. Von diesem Niederländer soll die Flasche stammen, die statt Champagner hochkonzentrierte MDMA-Base enthielt, den Wirkstoff von Ecstasy-Tabletten. Der „Party-Guy“ – am Freitag ist er recht still geworden.

Stocknüchtern und zufällig am Nachbartisch

Allzu bedrückend ist, was ihm die Dolmetscherin per Headset ins Ohr übersetzt. „Ich kann sehr viel nicht mehr“, beschreibt Carola Portz ihre körperliche Verfassung. Sie kann nicht mehr arbeiten, nicht mehr Auto fahren, nicht mehr selbst einkaufen. Immer öfter braucht sie den Rollstuhl. Ihr Körper macht unkontrollierte Bewegungen. Immer wieder passiert es, dass sie während der Ergotherapie epileptische Anfälle bekommt, bei vollem Bewusstsein.

Früher war sie sportlich, ging Laufen. Sie ist eine alleinerziehende Mutter, die ihre zwei Kinder (heute 15 und 19) verantwortungsbewusst erzieht. Sie hat nicht „Party gemacht“ an dem besagten Samstagabend: Carola Portz war mit ihrer Freundin Andrea zunächst Essen in einer Osteria, dann ging man um 22 Uhr noch ins „La Vita“. Auf zwei alkoholfreie Drinks. Beide Frauen haben an dem Abend gar keinen Alkohol getrunken. Mehr oder weniger aus Höflichkeit nahmen sie vom Nachbartisch die Champagner-Gläser zum Anstoßen an. Andrea trank gar nicht, Carola nippte.

Noch auf Intensivstation angerufen

„Ein kleiner Nipp“, sagt sie heute. Er veränderte ihr Leben. Als Krankenschwester war ihr sofort klar, dass hier etwas komplett schief läuft. „Ich habe sofort gewusst, dass das Gift ist.“ Die 41-Jährige geriet in völlige Panik, schrie, lief nach draußen. Sie versuchte sogar noch, ihre Kollegen auf der Intensivstation im Klinikum anzurufen. Sie wollte ankündigen, „dass da jetzt ganz was Schlimmes kommt“. Danach: Filmriss.

Grammer Solar
Grammer Solar

Wichtiger Zeuge am Freitag ist ein Mechatroniker aus dem Bayerischen Wald. Er gehörte zur Clique von Markus G., die den Champagner bestellt hatte. Von ihm stammen vier Videos, die den Abend wiedergeben. Über dem Tresen läuft der Fernseher. Die Clique feiert den Auftritt von Markus G. in der Dating-Show „Take me out“. Der Mechatroniker hat den Barkeeper gefilmt, wie er die Folie aufschneidet und am Korken dreht. Eine Frau johlt ein wenig, als der Kandidat Markus einläuft. Der Tisch steht voll mit Aperol-Gläsern, die Stimmung: absolut entspannt.

Gäste versuchen, sich zu erbrechen

Die Restaurantleiterin habe die Gläser ausgereicht. „Und dann hat der Horror begonnen.“ Der Mechatroniker beschreibt die Wirkung der flüssigen MDMA-Base: „Wenn man einen Schluck nimmt, dann dauert es keine Sekunde und man ist in einer anderen Welt.“ Er sah Stimmen, er hatte Wahnvorstellungen, sein ganzer Körper begann zu zittern. „Ein ganz schlimmes Gefühl.“

Auf der Toilette versucht er, sich zu erbrechen. Dort trifft er auch auf den später verstorbenen Harry Z., der sagt: „Was war das denn?“ Auch TV-Kandidat Markus G. kommt in den Waschraum. „Ihm ging es gar nicht gut. Er hat geschrien und gezittert.“ Ein Unbekannter brachte die Männer nach draußen. Harry Z. wurde auf einer Trage vorbeigetragen. Die letzte Erinnerung an den Freund. Als der Mechatroniker am nächsten Morgen im Krankenhaus Tirschenreuth (damals noch mit Intensivstation ausgestattet) aufwacht, ist der Pfreimder tot.

Die Flasche: Der Weg startet drei Jahre zuvor 670 Kilometer entfernt

Diese verfluchte Flasche. Ihre Geschichte ist ein wenig kompliziert. Fakt ist: Diese Flasche war nicht für den Ausschank bestimmt; sie sollte als Tarnung für den Drogenschmuggel dienen. Gelagert war die 3-Liter-Flasche – mit 19 anderen – in einer Miet-Box in einem Lager in Arnheim. Die Staatsanwaltschaft sagt: Theo G. hat sie dort zwischengelagert. Die MDMA-Base sollte an Kunden ins Ausland geschmuggelt werden. Das wäre keine neue Idee: In Australien tauchte 2019 eine größere Charge MDMA in Champagner-Flaschen auf.

Wie kam sie nach Weiden? Der Lagerverwalter soll sie geklaut haben. Und im Glauben, es handle sich um Champagner, für ein paar hundert Euro im Internet vertickt haben. Die Weidener Flasche ging durch mehrere Hände, überwand die Grenze und wurde irgendwann auf Ebay angeboten. Ein Bürger aus dem Landkreis Neustadt/WN- ausgerechnet im Justizdienst tätig – schlug für rund 500 Euro zu. Er wollte seinen 40. Geburtstag feiern. Es kam Corona. Die Flasche blieb zu. 2022 verkaufte er sie an die Weidener Gastronomen.

So sieht „Moet & Chandon Ice Imperial“ aus: Der halbtrockene Champagner wird in blickdichten, weißen Flaschen verkauft. Foto: Christine Ascherl
In diese blickdichten Acryl-Gläser wurde der vermeintliche Champagner eingegossen. Foto: Screenshot Facebook

Erste Zeugen aus den Niederlanden im Januar 2026

Für Carola Portz ist der aktuelle Prozess letztlich „surreal“. Seit fast vier Jahren kämpft sie um einen einigermaßen normalen Alltag. Sie will nach vorne schauen. „Ich habe zwei Kinder“, sagt sie vor der 1. Strafkammer: „Aufgeben ist keine Option.“

Kann Theo G. dafür verantwortlich gemacht werden? Ja, meint Staatsanwalt Christoph-Alexander May. Ausgerechnet ein Genussmittel mit purem Gift zu füllen – das sei fahrlässige Tötung plus bandenmäßiger Drogenhandel. Nein, meinen die Verteidiger aus München. Davon hat Theo G. zwei – und beide sind irgendwo schillernd: Philip Müller ist Sohn von Schauspielerin Gisela Schneeberger, Alexander Stevens ist True-Crime-Podcaster und TV-Moderator („Im Namen des Volkes“).

Der Angeklagte bestreitet, Besitzer der Flasche gewesen zu sein. Er habe eine Lagerbox angemietet gehabt, aber eine andere. Dass die Ware als „sein Champagner“ bezeichnet wurde, sei missverständlich. Mit Spannung wird Mitte Januar ein Haupt-Belastungszeuge aus den Niederlanden erwartet, der in dieser Sache selbst kurzzeitig in Haft saß. Ohnehin füllen sich die Zeugenlisten ab 15. Januar mit Niederländern, darunter auch der Lagerverwalter, der damals lange Finger bekam.