Expressives Genussradeln (6): Auf Kandinskys Spuren ins Künstlerdorf Kallmünz
Expressives Genussradeln (6): Auf Kandinskys Spuren ins Künstlerdorf Kallmünz
Wer Kallmünz mit dem Rad ansteuert, begibt sich auf eine Reise in eine Zwischenwelt der Kunstgeschichte: halb Wirklichkeit, halb Aquarell. Das Jurafelsendorf mit seiner markanten Burgruine über der Laber zieht seit jeher Freigeister, Landschaftspoeten und urbane Aussteiger an.
Kein Wunder, dass zwei Kunstgiganten des 20. Jahrhunderts sich hier 1903 küssten, pinselten und philosophisch austobten: Wassily Kandinsky, russischer Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker sowie zusammen mit Franz Marc Begründer der Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“, und Gabriele Münter, Lebensgefährtin von Kandinsky und neben Paula Modersohn-Becker bekannteste Vertreterin des Expressionismus in Deutschland.
Vor 122 Jahren verlobte sich eines der berühmtesten Paare der Kunstgeschichte in diesem Oberpfälzer Kulturidyll. Die Strecke dorthin: ein sanftes Annähern an das Unwahrscheinliche – über Uferwege, durch Künstlerdörfer und unter Eichenbögen hindurch.
Früher Morgen in Kleinprüfening
Startpunkt ist erneut Kleinprüfening, wo die Donau noch träumt und der Prüfeninger Schlossgarten dem Aufbruch einen Hauch Barock mitgibt. Hinter der zweiten, noch nicht sanierten und engen Eisenbahnbrücke zwängt man sich an Fußgängern vorbei bis Mariaort, an der Mündung der Naab in die Donau mit der gleichnamigen Wallfahrtskirche. Danach beginnt das sanfte Rollen: Fluss rechts, Wiesen mit sich sonnenden Wasservögeln und sanften Hügeln links.
Die Route folgt der Naab bis Etterzhausen mit seinem umgebauten Renaissance-Schloss, das heute als Beispiel für einen klassizistischen Schlossbau gilt. In der Grundschule der Regensburger Domspatzen wäre der Autor im Jahr vor dem Übertritt ins Goethe-Gymnasium beinahe gelandet. In Penk lädt der Landgasthof Spitzauer mit schönem Biergarten und ein paar Kilometer weiter der Gasthof Buchberger zur ersten Rast: Hier, wo die Fische manchmal größer scheinen als der Durst.
Pielenhofen – Kloster, Konzert und Kirschbaumduft
Das imposante ehemalige Zisterzienserinnenkloster Pielenhofen liegt wie ein barockes Raumschiff am Ufer – heute beherbergt es die private Herder-Schule, doch die Fassade bleibt unverändert monumental. Der Klostergarten verströmt Lavendelduft, und wer Glück hat, hört Musik: Konzerte im Sommer sorgen für sakrale Stimmung auf Picknickdecken.
Seit 1981 dienen die Schul- und Internatsräume den jüngsten der Regensburger Domspatzen als Heimstätte. Die Schwestern wirken bei der Betreuung und Erziehung der Buben mit. Mittlerweile ist im Klostergebäude die Herder Schule untergebracht, die nach eigenem Bekunden in ihrem Konzept einen alternativen Weg zum Abitur anbietet – über eine Realschule und eine Fachoberschule der Ausbildungsrichtungen Gestaltung und Sozialwesen.
Biergarten Heitzenhofen: Pause mit Panorama
Unter Kastanien und Walnussbäumen, direkt an der Naab, liegt der Biergarten der Schlosswirtschaft Heitzenhofen (siehe unten). Das Schloss selbst wirkt, als hätte ein neugotischer Romantiker seine spätmittelalterliche Burgträumerei mit dem Lineal nachgezogen: dreigeschossig, giebelständig, ein Satteldach so steil wie eine Himmelsleiter und mit Staffelgiebel. Der Eingangsvorbau trägt eine Altane samt Zinnen bekränztem Türmchen. Zum Ensemble gehören ein Stadel und eine Remise aus dem 18. Jahrhundert – ehrwürdige Wirtschaftsbauten mit Halbwalmdach und Zwerchgiebel. Selbst die alte Hammermühle lebt weiter: einst Korn, heute Kilowatt – eine Wasserkraftanlage summt an Stelle des Mahlwerks und verwandelt Flusskraft in Strom.
Im Hauptgebäude residiert das Hotel Schlossresidenz, betrieben von Martin und Stephanie Sarfert, gleich daneben lädt die Schlosswirtschaft mit bodenständigem Charme zu Bier und Braten. Und weil Tradition allein nicht reicht, erhebt sich über dem rauschenden Wasser ein kleines Kuriosum: In den oberen Stockwerken des Wasserkraftwerks findet sich eine Künstlergalerie, wo Leinwände an den Wänden hängen, während Turbinen unten unermüdlich rauschen. Ein Ort, der beweist: Burgen können nicht nur Geschichte speichern, sondern auch Gegenwart erfinden – irgendwo zwischen Ritterromantik, Biergarten und Avantgarde. Das Rad parkt hier nicht, es ruht sich aus.
Gessendorf – letzter Gruß vorm Zauber
Kurz hinter Gessendorf wird es still. Nur die kleine Wegkapelle mit giebelständigem Satteldachbau, Frontpilastern und stichbogigem Eingang aus dem 18. Jahrhundert grüßt bescheiden. Die Naab schlängelt sich, als wolle sie den Blick aufs Finale verzögern. Doch dann: der erste Blick auf Kallmünz, auf die Ruine über dem Ort, auf die galizisch anmutende Häuserzeile und die steinerne Brücke – ein Anblick, der einem den Atem raubt, auch wenn hier keine Steigungen zu meistern sind.
Der Ort selbst ist ein Kunstwerk: Kopfsteinpflaster, Galerien, Ateliers. Der ehemalige Schafstall ist heute ein Kunsthaus, die Gassen erzählen von Sommerfrischen und Sinnsuche. Wer mag, besucht das Kandinsky-Münter-Zimmer, trinkt einen Café au Lait am Naabufer – oder geht den kurzen, aber steilen Weg hinauf zur Ruine. Oben: Weitblick bis zum Horizont, Lichtspiele wie aus einer Jugendstil-Vision.
Einkehrtipps auf der Route
- Kulturschmiede: Französisches Restaurant mit Galerie, Programm, Vinothek, traditionellen Familienrezepten und ausgewählten Weinen. Café au Lait und hausgemachter Kuchen am Sonntagnachmittag, Elsässer Flammkuchen und Quiches in allen Variationen Kuchen (Lange Gasse 9, 93183 Kallmünz, Reservierungen per E-Mail: kontakt@kulturschmiede-kallmuenz.de)
- Gasthaus zum Goldenen Löwen, jetzt Calm-Hotel: Olls oans! Früher haben die umtriebigen Wirtsleute Luber die weit und breit beste Oberpfälzer Küche im Goldenen Löwen und Bauchstecherla im Bürstenbinder kredenzt. Heute lädt die nächste Generation ins Calm-Hotel mit Brauerei und Destillerie, zum satt Essen und Sehen in den urigen Bürstenbinder und zum Abheben auf Schlosshotel Raitenbuch (Vilsgasse 10, 93183 Kallmünz, Mobil +49 1512 3357186, E-Mail: info@oans-kallmuenz.com).
- Schlosswirtschaft Heitzenhofen: Mit den Wurzeln in der Oberpfalz kombiniert die Schlossküche regionale Produkte mit modernen Kochtechniken und kreativer Zubereitung. Die alte Schlossstube, die Kaminstube und der idyllische Biergarten laden zum Verweilen ein Naabstraße 6, 93182 Duggendorf, E-Mail: info@schlosswirtschaft-heitzenhofen.de, Telefon: 09473/9519556.
🧭 Regensburg – Kallmünz und retour
- Startpunkt: Kleinprüfening bei Regensburg
- Ziel: Kallmünz Ortsmitte oder Ruine
- Strecke: ca. 70 km
- Höhenmeter: ca. 280 hm – flussnah, sehr angenehm zu fahren
- Rückfahrt: mit Rad + Bahn möglich ab Duggendorf (Bus) oder mit dem E-Bike retour
- Besonderheiten:
- Barockkloster Pielenhofen
- Galerien und Ateliers in Kallmünz
- Kandinsky-Rundweg durch den Ort
- Burg Kallmünz mit spektakulärer Aussicht
- Familienfreundlich? Sehr – ruhig, naturnah, gute Pausenplätze
- Geheimtipp: Kunstnacht Kallmünz im August – wenn Gassen, Flussufer und Ruine zur Galerie werden










































































