Waldarbeit wie damals: Hessenreuths lebendige Tradition

Waldarbeit wie damals: Hessenreuths lebendige Tradition
Gemeinsam mit den Weilern Tyrol und Stocklohe stellen sie die einstige Waldarbeit dar, wie sie über Jahrhunderte hinweg im nordostbayerischen Raum das Leben geprägt hat. Mit einem aufwendig gestalteten Motivwagen, einer stolzen Pferdegespann-Langholzfuhre und einer Fußgruppe, die das Pflanzen junger Bäume und das Sammeln von Beeren und Pilzen zeigt, bringen sie dem Publikum eine fast vergessene Welt zurück ins Bewusstsein. Im Mittelpunkt: harte körperliche Arbeit, tiefe Naturverbundenheit – und handwerkliches Können, das heute kaum noch jemand beherrscht.
Ein Baum fällt – mit reiner Muskelkraft
Zur Vorbereitung des historischen Motivwagens begaben sich Ludwig Arnold und Michael Reindl jüngst in die Waldabteilung „Zur Köhlerhütte“, südlich von Hessenreuth. Der Name ist kein Zufall: In alten Chroniken ist überliefert, dass an genau dieser Stelle einst Klosterwälder des Prämonstratenserstifts Speinshart lagen, aus denen über Jahrhunderte Holzkohle für die Eisenverarbeitung gewonnen wurde. „In der Gegend hier wurden früher große Mengen Holz verarbeitet – 1753 spricht man von 554 Klaftern, das sind mehr als 1.600 Kubikmeter“, erklärt Arnold, während er sich die Zugsäge schnappt. Ohne Motorsäge, ohne Traktor – nur mit Zugsäge, Axt, Keilen und purem Körpereinsatz machten sich die beiden Männer ans Werk.
Unterstützt wurden sie auch von Lukas Reindl, der interessiert zuschaute, was der Vater an altem Handwerk zeigte. Der Baum, eine ausgewachsene Fichte, wurde in traditioneller Weise gefällt. „Das ist brutal anstrengend, wenn man’s nicht regelmäßig macht“, lacht Reindl. „Und wenn die Säge nicht richtig schneidet, stehst bald auf.“ Der Fall des Baumes war der Auftakt für ein längeres Werk aus Entasten, Ablängen und Entrinden. Ganz wie früher – nur ohne, dass jemand im Akkord dafür bezahlt wird.
Schindeln aus Rinde – ein vergessenes Handwerk
Ein besonderes Meisterstück: Ludwig Arnold fertigte aus der Rinde sogenannte Lohschindeln. Diese flachen Rindenstücke – oft so groß wie ein DIN-A2-Blatt – wurden früher als Dachabdeckung für einfache Hütten im Wald verwendet. „Wenn die Rinde verrottet war, hat man halt eine neue geholt – bei der Menge an Bäumen kein Problem“, erklärt er. Mit einem Spezialmesser schneidet er die Rinde vorsichtig ab, damit sie in großen, intakten Stücken vom Stamm gelöst werden kann – eine fast ausgestorbene Technik.
Entrinden wie die Altvorderen
Die nächste Herausforderung war das Entrinden der Stämme mit dem sogenannten Schäleisen. „Das ist eine Kunst für sich“, sagt Arnold und demonstriert mit geübter Bewegung, wie man das Eisen mit dem ganzen Oberkörper führt. „Wenn du nur mit den Armen arbeitest, bist nach zehn Minuten fertig – und zwar nicht mit dem Stamm, sondern mit den Kräften.“ Er erinnert sich: „Mein Vater war Holzhauer, der hat das ein Leben lang gemacht. Die Alten haben zwei oder drei Kubikmeter pro Stunde geschafft – vorausgesetzt, das Holz war frisch und nicht zu harzig.“
Reindl ergänzt: „Wir hatten mal einen Winter, da mussten wir über 600 Kubikmeter entrinden – per Hand. Das würdest heute keinem mehr zumuten.“ Die Arbeit war nötig, denn Sägewerke nahmen früher ungern Holz mit Rinde an. Sie war wertlos – und ein Hindernis beim Abtransport, weil sie zusätzliche Reibung verursachte. „Ein Stamm mit Rinde hat mindestens die doppelte Widerstandskraft“, erklärt Arnold. „Darum haben die früher jeden Stamm sauber geschält – das war Standard.“
Im Wald der Zukunft
Was beim Rundgang durch den Wald auffällt: Zwischen den Fichten stehen zunehmend Buchen und Tannen. „Der Wald hier wurde schon klimagerecht umgebaut“, erklärt Arnold. „Fichte wurde teilweise gezielt entnommen, um Licht für die anderen Baumarten zu schaffen.“ Heute spricht man vom „Vier-Baumarten-Wald“ – Fichte, Tanne, Buche und Kiefer, teils auch Zeder oder andere standortgerechte Mischformen. „Wir setzen heut das um, was man für die Zukunft als richtig erachtet – ob’s dann in 30 oder 50 Jahren wirklich passt, weiß niemand genau.“
Die Arbeit ist ein Spagat zwischen Tradition und Zukunft – während die alten Werkzeuge zum Einsatz kommen, denken Arnold und Reindl längst in Generationen. „Unsere Arbeit heute erinnert an die Vergangenheit, aber soll auch den Blick schärfen für das, was kommt.“
Motivwagen und Pferdegespann nehmen Form an
Nach gut zwei Stunden ist der Stamm aufgearbeitet: gefällt, entastet, entrindet, abgelängt. Der Transport erfolgt, anders als früher, nun maschinell. Der Stamm wird später Teil des Motivwagens sein, auf dem das Publikum live erleben kann, wie Holz früher geerntet wurde. Dazu kommt der eindrucksvolle Langholzwagen, gezogen von einem kräftigen Pferdegespann – ebenfalls eine Augenweide beim Umzug.
In einer weiteren Fußgruppe zeigen Frauen aus Hessenreuth die harte Arbeit des Pflanzens junger Bäume, das mühsame Beeren- und Pilzesammeln und erinnern so an die zentrale Rolle des Waldes im ländlichen Alltag früherer Zeiten.
Ein Stück lebendige Erinnerung
Die Vorbereitungen von Ludwig Arnold und Michael Reindl sind mehr als ein Beitrag zu einem historischen Fest – sie sind ein lebendiges Stück Heimatgeschichte. „Die Arbeit unserer Großeltern wird sonst vergessen“, sagt Reindl zum Abschluss. „Dabei war sie das Rückgrat ganzer Dörfer.“
Wenn am 14. September der Festzug durch Kastl zieht, wird die Arbeit aus dem Wald „Zur Köhlerhütte“ sichtbar – als Zeichen dafür, wie eng Mensch, Natur und Arbeit einst miteinander verbunden waren. Und wie wichtig es ist, sich daran zu erinnern.
Weitere Informationen zum Festwochenende und zum historischen Erntedankzug sind unter www.erntedankfest-kastl.de zu finden.











