Schobers-Rock-Kolumne: Schnee ist ja noch nicht in Sicht, aber diese Künstler bereiten mit ruhigen Tönen schon mal auf die stade Zeit vor

Weiden/Amberg. Eine vergessene Perle aus den frühen 70ern …

Weiden/Amberg. Eine vergessene Perle aus den frühen 70ern …
Patrick Watson, Kelly Moran, Rick Wakeman, Gruff Rhys, Todd Snider, Bulgarian Cartrader

Schobers-Rock-Kolumne: Schnee ist ja noch nicht in Sicht, aber diese Künstler bereiten mit ruhigen Tönen schon mal auf die stade Zeit vor

Elysisches Wolkenkuckucksheim

Herbstzeit = Erkältungszeit. Da kann einem schon mal die Stimme wegbleiben. Ziemlich blöd nur, wenn dein Beruf u.a. Sänger ist und der Umstand nicht nur ein paar Tage anhält. So etwas ist dem kanadischen Tausendsassa -er singt nicht nur eigentlich engelsgleich, er komponiert auch komplexe Filmmusiken, dirigiert auch mal ein Orchester oder spielt einen ganzen Instrumentalienladen – Patrick Watson passiert. “Uh Oh” (Secret City Records) dachte sich der Mann, begriff diese Malade als Chance, hielt kurz inne -und griff zum Telefon.

Neben seiner langjährigen Co-Sängerin Ariel Engle (auch bekannt als La Force) fiel ihm da noch eine ganze Reihe anderer Kombattanten ein. Diese reichen von den ikonischen Stimmen, die er seit Jahren bewundert (Martha Wainwright), bis hin zu Stimmen, die er beim Scrollen durch Instagram entdeckt hat (Solann); von einem lokalen Favoriten aus Quebec (Klô Pelgag) bis zu internationalen Phänomenen (MARO, Hohnen Ford, November Ultra); von einem JUNO Award-prämierten Popstar (Charlotte Cardin), über eine Félix-Preisträgerin (Anachnid), bis zu einer Freundin, die er kennenlernte, als sie in einem lokalen Café hinter dem Tresen arbeitete (Charlotte Oleena).

Herausgekommen ist so erneut ein wunderbares wie wundersames, empyreisches Album, üppig orchestriert, zwischen Art-Pop und Chamber-Folk, zwischen Indie-Rock und klassischer Orchestermusik. Die Stimme ist wohl inzwischen zurück gekommen, wir lernen, es funktioniert auch ohne ganz charmant und delikat.

Junge Pianistin mit Flausen im Kopfl never dy!

Nicht nur ohne die eigene Stimme, ganz instrumentell kommt die englische Tasten-Virtuosin Kelly Moran daher. Die Komponistin und Musikerin ist stilistisch schwer zufassen, so arbeitete sie schon für und mit so unterschiedlichen Künstlern wie Oneohtrix Point Never, FKA Twigs, die klassische Musikerin Margaret Leng Tan und mit anderen visionären Zeitgenossen wie Kelsey Lu und Yves Tumor zusammen.

“Don’t Trust Mirrors” (Warp Records) ist eine Sammlung von zehn Kompositionen die sowohl Electro- und Kraut-Rock-Jünger von Kraftwerk bis Can, als auch Freunde der neueren Klassik, Avantgardisten aus dem John Cage-Lager oder eher von Pop-orientierten Liebhabern a la Vangelis, Jean Michele Jarre oder Mike Oldfield ansprechen dürfte.

VGN Nürnberg – Phase1
VGN Nürnberg – Phase1

Alter Tasten-Derwisch mal ganz leger Motto

Ebenfalls aus England kommt ein Tasten-Mann der alten Garde: Rick Wakeman. Der Mann im Glitzeranzug war maßgeblich für den Bombast im Sound von Yes verantwortlich und führte das Mellotron in die progressive Musik ein. Er verließ seine Stammband unzählige Male, kam aber immer wieder zurück.

Dazwischen veröffentliche er so brutalistisch-bombastische Werke die diesen Aplomb bereits im Namen trugen wie „The Six Wives of Henry VIII“, „Journey to the Centre of the Earth“ oder „The Myths and Legends of King Arthur and the Knights of the Round Table“. Umso erstaunlicher ist die feine Zurückhaltung, die auf „Melancholia“ (Madfish) zu hören ist. Wakeman sitzt an seinem Steinway Model D und die Musik fließt leicht und flüssig, macht ein paar melancholische Schlenker, fließt aber weiter, fließt und fließt. Ein Meditation nicht nur in Moll.

Man versteht zwar nichts, es klingt aber trotzdem gut

Nach diesen stimmlosen „Meditationen“ machen wir jetzt den ersten Schritt Richtung Kommunikation. Die kann Dank diverser im Internet erhältlicher Übersetzungsprogramme sogar funktionieren, denn Gruffudd Maredudd Bowen Rhys, besser bekannt als Gruff Rhys hat sein neues Album komplett auf Walisisch/Cymraeg aufgenommen. Der Super Furry Animals-Sänger fliegt als Hund verkleidet auf seinem Teppich über eine dystrophische Welt und kommentiert das mit einem Augenzwinkern.

„Dim Probs“ (PIAS) hat seine ruhigen, intimen Momente, wo der Künstler voll auf seine sanfte Crooner-Stimme und die Gitarre setzt. Darum platziert er ein paar exotisch anmutende „Störgeräusche“, elektronische Schnipsel aus dem Experimentierlabor, aber auch mal ein paar Bläser. Cate Le Bon darf Beach Boys-artig im Chor trällern, das gesamte Album ist eine Art Entspannungskur im Stile der besten Werke von Kevin Ayers. Und der war ja auch ein von der Muse geküsster Sonnyboy und Lebenskünstler.

Grummelnde Oden aus den USA

Diese Ausgabe entwickelt sich mehr und mehr zu einer Art Wellness-Empfehlung für Ohr und Seele. Da passt des neue Werk des Americana Singer/Songwriters Todd Snider bestens dazu. Nicht dass der Künstler je Hektik verbreitet hätte, „High, Lonesome, Then Some“ (Thirty Tigers) ist aber jetzt noch eine Spur relaxter als die bisherigen Werke. Snider hat den Blues, denn er will unbedingt mit seiner Angebeteten nach Reno.

Das klappt aber nicht so richtig und dieses Dilemma wird maliziös in neun mehr oder weniger Blues-getränkten Country`n`Folk Songs ausgebreitet. Der Meister sprechsingt mit einer Stimme aus der neben viel Lebenserfahrung auch ein Marlboro-Wölkchen mit Whisky-Aroma aufsteigt. Zugegeben, Mark Eitzel`s American Musik Club musiziert noch eine Spur langsamer, aber auch wenn der Mann „It´s hard to be happy“ singt, man kann es durchaus bei diesen zerdehnten Slow Motion-Songs werden, vor allem wenn Brooke Gronemeyer und Erica Blinn noch Soul-getränkte Background-Chöre beisteuern.

Bulgarian-Soul, oder was?

So, zum Abschluss nehmen wir doch noch ein wenig mehr Fahr auf, aber wie gesagt nur ein wenig. In Berlin lebt der Künstler Daniel Stoyanov. Der ist als Kind aus Bulgarien eingewandert, nennt sich selbst Bulgarian Cartrader, sein Album nimmt ebenfalls Bezug und heißt, “Greetings from Soulgaria” (2025 Uncomfortable Chair Records). Wer jetzt putzigen Balkan-Pop mit Oud und Saz erwartet wird enttäuscht sein, der Singer/Songwriter ist zwar nicht der lyrischste, poetischste noch wortgewaltigste seiner Zunft, dafür versteht er es hervorragend ganz vielseitig zu unterhalten.

Auch hier dominieren die ruhigen Töne und Balladen, gibt es mehr Folk, Pop und eine seltsame Art von (Balkan-)Soul als Rock. Der geneigte Kenner und Liebhaber kann in diesen Songs durchaus Spurenelemente von so unterschiedlichen Kollegen wie Bruce Springsteen, Everlast, Beck, Tyler the Creator, Mac Miller, Malcolm Todd, The Streets, Vampire Weekend, Loyle Carner, Frank Ocean, Lorde, joji, Weyes Blood oder JMSN ausmachen, am Ende kocht der Hobby-Tänzer aber dann doch seine eigene Toptscheta. Und die kann dann im Schlussong, „Meditations“ (hatten wir das nicht schon mal in dieser Ausgabe?) auch wie Brian Eno`s „Music For Airports“ klingen.