Schobers-Rock-Kolumne: Zwischen Avantgarde, Experiment und Grundsolidem bewegen wir uns dieses Mal. Halt so bunt wie der Herbst.

Schobers-Rock-Kolumne: Zwischen Avantgarde, Experiment und Grundsolidem bewegen wir uns dieses Mal. Halt so bunt wie der Herbst.
Unerhörtes aus Texas
Dallas/Texas ist ja nicht unbedingt für introvertierte, besinnliche und fragil agierende Musikschaffende bekannt. Meat Loaf, die Chicks, Post Malone, die Old 97’s oder Stevie Ray Vaughan stammen aus der ölreichen Gegend. Aber halt, auch St. Vincent, Eddie Brickell und vor allem die leicht durchgeknallten Polyphonic Spree nennen Big-D ihr Zuhause.
Den letzt Genannten steht ein junger Mann namens Jason Dungan aka Blue Lake noch am nahestehen, die Musik auf „Animal“ (Tonal Union) kann aber fast nur in Europa und da im Norden entstanden sein. Kopenhagen ist der Ort, wo Dungan zusammen mit seinen Mitstreitern, mit Zither, Kontrabass, Klarinette, Cello, Schlagzeug und Chorgesang instrumentelle Klanglandschaften erschaffen hat die schwer einzuordnen sind. Das Penguin Cafe Orchestra fällt mir da noch am ehesten als Bezugspunkt ein.
Die Stücke kreisen um das Spannungsverhältnis zwischen Mensch, Tier und Stadt. “Ich finde es sehr faszinierend, den Menschen mehr als Teil der tierischen Umwelt zu betrachten und nicht als etwas, das so sehr in einem ‘menschlichen’ Bereich verankert ist oder an der Spitze einer hierarchischen Pyramide sitzt. Das Tier bin also auch ich – oder wir – wir leben einfach, existieren, auf dieselbe Weise wie ein Stück Moos oder ein Spatz oder eine Kuh,“ sagt der Künstler selbst ganz richtig. Würden wir uns selbst nicht so wichtig nehmen, die Welt wäre eine Bessere, den Soundtrack dazu gibt es ab sofort bereits.
Gern gehörtes aus Estland
Noch etwas nördlicher, in Estland wirkt das Musikerkollektiv von Night Tapes. Die denken wohl ähnlich wie ihr amerikanisch-dänischer Kollege, nur wo dieser ganz organisch-akustische Sounds erzeugt, wird auf „portals//polarities“ (Nettwerk) auch gesungen, entsteht ein globales Klangtagebuch voller Field Recordings, verspielter Shoegaze-Elektronik und menschlicher Imperfektion. Es fängt das Leben unterwegs ein – Vogelstimmen, Hubschrauber, Sumpfgeräusche – und transformiert sie in intime Popsongs, die sich stilistisch zwischen Synthpop, Lo-Fi, Ambient und Trip-Hop bewegen. Das ist Stadt-Musik bei Nacht mit viel Kajal und einem Kater am Morgen. An der süßen, sehr hohen Stimme von Iiris Vesik könnten sich die Geister scheiden.
Harfe, Harfe und nochmals Harfe -aber ganz anders als Ihr denkt!
Über jeden Zweifel erhaben ist dagegen sicherlich die Stimme von Iggy Pop. Der leiht diese dem Song, „She“ auf Kety Fusco`s neuem Album, „Boheme“ (Floating Notes). Nach mehr als fünfzehn Jahren klassischen Studiums und zwei Master-Abschlüssen im Fach Harfe hat Kety Fusco einen Weg eingeschlagen, der sie dazu bringt, alle Konventionen zu überwinden und das Instrument in eine Quelle neuer und überraschender Klänge zu verwandeln. Der Albumtitel „Bohème“ erinnert an den freien und nonkonformistischen Geist, ein zentrales Thema auch in den Werken Giacomo Puccinis, von denen Fusco seine Inspiration bezieht.
Wie der berühmte Komponist erkundet die Künstler neue Ausdrucksmöglichkeiten und fordert die Regeln der musikalischen Tradition heraus. Dazu wird eine Harfe z.B. in ein Aquarium getaucht um ganz eigene Klänge zu erzeugen, weiters kommen diverse Modulatoren, Pedale und andere Verfremdungsmittel zum Einsatz, denn angeblich stammt jeder der hier erzeugten Töne von einer Harfe. Ich würde zumindest noch auf Drum Computer, Synthesizer und Klavier tippen, aber wie heißt es so schön: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Sicherlich eines der spannendsten Klang-Experimente seit langem und (fast) hörbar wie ein Pop-Album.
Ein Schottenrock der rockt
Die Hörbarkeit ist bei einer Kapelle aus Schottland sicherlich nicht das Problem. Und kann man bei 30 Jahren im Geschäft und On The Road schon von einer Institution sprechen? What ever, die Rede ist von Idlewild und deren selbstbetiteltes 10. Album, „Idlewild“ (Bertus). Angefangen mit Post-Punk mutieret die Band schnell zu einem Abziehbild der Waterboys oder auch R.E.M. (mit denen sie übrigens auch auf Tournee gingen), und die U2`schen Klingel-Gitarren wurden dann auch schnell ein fester Bestandteil des Idlewild-Sounds.
Addiert man noch ein wenig Manic Street Preachers, The Replacements und Elbow hinzu, weiß an wie der Hase läuft. Und das ist auch ein wenig das Problem von Idlewild: Sie schreiben tolle Melodien, kreieren catchy Hooks, Sänger Roddy Woomble hat ein tolles Organ, die Dosis Emphase ist nicht zu üppig, aber ein wenig klingt man dann halt doch nach Everybody`s Darling, da können die Gitarren noch so laut kreischen.
Ein Luftikus aus Chicago
Musik für Jedermann? Da liegt man bei dem Provokateur und Klang-Derwisch Bobby Conn aus Chicago weit daneben. Sein neues Album, „Bobby`s Place“ (Tapete) hat schon mal keine B- sondernd eine Seite A und eine Seite 1. Klamauk? Maybe. Stilistisch unterschieden sich die Seiten stark, Conn experimentiert zunächst einmal mit modularen Synthesizern und schafft einen Sound-Kosmos aus Kraut-Rock, Ambient, Art-Rock und experimenteller E-Musik. Das ist etwas anstrengend, aber da muss man halt durch.
Danach gibt es köstlichen Rock`n`Roll-Unsinn in überkanditelter, persiflierender Form zu hören. Der fast 60-jährige nimmt sich selbst auf den Arm und macht sich über die alte, verkorkste, konservative Classic-Rock-Liga mit Classic-Rock in Vaudeville-Manier oder kitschigen Beach Boys-Chören lustig. Ein Spaß in Plateau-Stiefeln, Stern-Gitarre und Latex-Hoserl.
Bodenständiges aus den USA
Zum Abschluss nun etwas „ernsthaftere“ Musik von den Bloodbrothers. Die Blutsbrüder, Mike Zito & Albert Castiglia sind seit Ihrem Debüt von 2023 bereits ein fester Bestandteil wenn es um harten, erdigen Blues-Rock geht. Das hatte kein Geringerer als Joe Bonamassa produziert, „Help Yourself“ (Bertus) wurde live im Studio aufgenommen und schafft es ganz gut die unbändige Spielfreude und Energie der Combo einzufangen.
Wie einst bei den Grateful Dead oder den Allman Brothers agieren mit Matt Johnson und Ray Hangen auch hier zwei Schlagwerker, ansonsten noch mit dabei Scott Sutherland am Bass und Lewis Stephens an den Tasten. Wie so oft sind es dann aber am Ende nicht unbedingt die straighten Knaller die im Ohr hängen bleiben, sondernd z.B. so atmosphärische Orgel-Balladen wie „Alive“ -natürlich mit einem Gitarren-Solo als Sahnehäubchen. Allerbestes Handwerk!


