Zwischen Himmel und Humus (4): Wie Kloster Waldsassen seine Kinder zur Schöpfung erzieht
Zwischen Himmel und Humus (4): Wie Kloster Waldsassen seine Kinder zur Schöpfung erzieht
„Hildegard von Bingen ist für mich eine geistige Freundin“, sagt Äbtissin Laetitia Fech und streicht über die Kräuterspirale am Rande des Gartens. Der Duft von Salbei, Thymian und Minze liegt in der Luft. „Sie sagte: Es gibt kein Kraut unter der Sonne, das nicht Heilkraft besitzt.“
In der Umweltstation des Klosters Waldsassen wächst der Gedanke weiter: Schulklassen führen hier Experimente durch, mischen Tees, destillieren Kräuteressenzen. Eine junge Realschülerin beugt sich über ein Beet, reibt zwischen den Fingern einen Tropfen Melissenöl. „Riecht nach Zuhause“, sagt sie leise.
Das Konzept der Umweltstation ist fest mit der Mädchenschule des Klosters verzahnt. Im Biologie- und Religionsunterricht, in Projekttagen und Workshops lernen die Schülerinnen, was Natur bedeutet – nicht nur für den Körper, sondern für Geist und Seele.
Der junge Mensch in Bewegung
„Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“ – dieser antike Leitspruch findet in der neuen Turnhalle der Mädchenrealschule Waldsassen eine architektonische Entsprechung. Klare Linien, viel Licht, natürliche Materialien: Der moderne Bau steht nicht nur für körperliche Ertüchtigung, sondern auch für ein Bildungsverständnis, das Bewegung, Haltung und Selbstbewusstsein als integrale Bestandteile der Persönlichkeitsentwicklung versteht.
Was äußerlich wie eine Sporthalle wirkt, ist im Inneren ein Raum für Rhythmus und Resonanz – ein Ort, an dem Schülerinnen Kraft tanken, Grenzen erfahren und Gemeinschaft erleben. „Wir wollten nicht nur ein funktionales Gebäude, sondern einen Ort, an dem man sich gerne bewegt“, sagt Äbtissin Laetitia. Und tatsächlich: Wer sieht, wie die Mädchen hier tanzen, turnen oder miteinander lachen, versteht, was die Zisterzienserinnen unter ganzheitlicher Bildung verstehen – körperlich, geistig und seelisch im Einklang.
Kneipp, Kosmea und Kreativität
Ein paar Schritte weiter glitzert Wasser. Die Kneippanlage: erfrischendes Element und pädagogisches Werkzeug. „Ich komme ja aus der Nähe von Bad Wörishofen“, erzählt die Äbtissin, „meine Tante hat dort gekurt.“ Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und innere Ordnung – das sind Kneipps fünf Säulen.
Im Schatten der Obstbäume lernen die Mädchen nicht nur Brotaufstriche zuzubereiten oder Tees zu erkennen. Sie begreifen durch eigenes Tun den Rhythmus der Natur. „Ich sehe, wie sie aufblühen, wenn sie mit ihren Händen arbeiten“, sagt Laetitia Fech.
Die Natur wird ein Teil von ihnen.
Äbtissin Laetitia
Von Mohnblumenpüppchen und Gänseblümchentee
In einem Wildwiesenstück stehen Monika Keck vom Maschinenring und die Äbtissin zwischen Königskerze, Fuchsschwanz und Kornblume. „Wir wollten mehr Blühendes“, sagt Keck, „für die Bienen – aber auch für die Seele.“ Die Blumenwiese ist Nährboden für Geschichten: „Aus Mohnblüten haben wir früher Püppchen gemacht“, sagt die Äbtissin und lächelt. „Oder tränende Herzen: Wenn man sie umdreht, sieht das aus wie ein Männchen in der Badewanne.“
Es sind solche Momente, in denen Bildung zur Poesie wird. Zwischen pädagogischem Anspruch und spirituellem Erlebnis wächst etwas, das kein Lehrplan alleine leisten kann. Laetitia Fech fasst es in einem Satz:
Wer den Garten pflegt, pflegt auch die Seele.
Äbtissin Laetitia
Teil 5: Von Honig, Hierarchie und Herbstgold: Der Klostergarten als Gleichnis
Die Umweltstation Waldsassen
- Gründung: 1998 als Teil des Kultur- und Begegnungszentrums
- Seit 2004: Offiziell anerkannte „Bayerische Umweltstation“
- Leitlinien: Naturpädagogik, Schöpfungsverantwortung, Klostermedizin, Achtsamkeit
- Zielgruppen: Schülerinnen der Mädchenrealschule, Kinder, Familien, Gruppen
- Lernorte: Hildegard-Garten, Kräuterspirale, Kneipp-Anlage, Blumenwiese
- Besonderheit: Starke Verzahnung mit der schulischen Bildung im Klosterkomplex.




