Patientin gilt als hirntot: Familie wehrt sich gegen Abschalten
Patientin gilt als hirntot: Familie wehrt sich gegen Abschalten
Am Dienstag verhandelt die zweite Zivilkammer am Landgericht Weiden in dieser Sache. Die schwere Entscheidung verteilt sich damit auf drei Paar Schultern: Den Vorsitz hat Landgerichtspräsident Josef Weidensteiner, ihm zur Seite sitzen die Richterinnen Franziska Attenberger und Magdalena Stahl.
In erster Instanz hatte Amtsrichterin Sabine Nickl im Oktober vorläufig die Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen angeordnet. Eine Tumortherapie musste wieder aufgenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt lag erst ein ärztliches Gutachten vor. Gegen diese einstweilige Verfügung der Richterin hat das Klinikum Berufung eingelegt. Es will die Patientin nicht länger behandeln.
Um es vorwegzunehmen: Dieser Einspruch wird von der Berufungskammer am Dienstag abgewiesen. Das bedeutet: Die Frau (57) „lebt“ zunächst weiter. Eine finale Entscheidung wird erst im Hauptsacheverfahren getroffen. Ein Termin steht noch nicht fest.
„Hohe emotionale Belastung“ für alle Beteiligten
Landgerichtspräsident Weidensteiner schickt am Dienstag voraus, dass der Fall mit „hohen emotionalen Belastungen“ für alle verbunden ist. Auf der einen Seite stehen der merklich verzweifelte Ehemann mit den beiden erwachsenen Söhnen. Auf der anderen Seite steht das Klinikpersonal der Intensivstation, das eine vermutliche Hirntote versorgen muss. „Es ist ein Sachverhalt, der ethische Fragen aufwirft und die Kammer nicht unberührt lässt.“
Es habe „viele Scherben“ gegeben, sagt der Landgerichtspräsident. In der Klinik sei es schon im Vorfeld der Hirntodesfeststellung zu „heftigsten Auseinandersetzungen“ gekommen, sagt Klinik-Anwalt Dr. Philip Schelling. Aktuell hat der Ehemann nach Auskunft von Klinik-Justiziarin Christa Kraemer Hausverbot. Er hat zudem Strafanzeige erstattet. Die Verhandlung hört sich auch ein Kriminalbeamter des Kommissariats 1 (Tötungsdelikte) der Kripo Weiden an. Zwei Wachtmeister sind im Sitzungssaal.
Tumore im Kopf
Die Vorgeschichte: Die Frau leidet an einer fortgeschrittenen Krebserkrankung mit Tumoren im Kopf. Ihr Gehirn schwoll in der Folge an. Eine CTA (computertomografische Untersuchung der Blutgefäße) ergab am 31. August kaum noch Blutzufuhr ins Gehirn. Am 29. September ergab das EEG eine Nulllinie (keine Gehirnaktivität).
Ein Arzt stellte offiziell den Hirntod fest. Dafür müssen Kriterien nach einer Richtlinie der Bundesärztekammer erfüllt sein. Schon dazu holte das Klinikum Weiden einen Oberarzt der Neurologie in Bamberg nach Weiden, um „unangreifbar zu sein“, so der Anwalt. Die Familie zweifelt dieses Ergebnis dennoch an: Zum einen wegen dämpfender Medikamente (Valproinsäure), zum anderen aufgrund von Bewegungen der Frau.
Transport nach Hause nicht umsetzbar
Auch eine Verlegung der Frau nach Hause in den Landkreis Schwandorf sei schon diskutiert worden, sagt der Klinik-Anwalt. Problem: Die Patientin sei beatmungspflichtig und müsste daher in einem Rettungswagen transportiert werden. „Im Rettungswagen ist es aber nach dem Gesetz verboten, hirntote Patienten zu transportieren.“
Am 21. Oktober zog das Klinikum einen zweiten externen Arzt hinzu. Prof. Dr. Frank Erbguth war über 20 Jahre Chef der Neurologie am Klinikum Nürnberg. Der Ehemann wurde über diese Untersuchung nicht informiert. Diese sei „hinterrücks“ erfolgt, sagt die Anwältin. Auch Erbguth kam zu dem Schluss: Die Patientin ist hirntot. „Zweifelsfrei“, wie er vor Gericht wiederholt: „Es liegt ein Maß an Gewissheit vor, das Zweifeln Schweigen gebietet und sie sogar völlig ausschließt.“
Sohn berichtet von Bewegungen und Zucken
Der Ehemann glaubt ihm nicht. Der Mann aus dem Landkreis Schwandorf hat sich in die Materie eingelesen. Er hat inzwischen Fachleute bis in den USA kontaktiert. Er zitiert eine argentinische Studie. Vor der Verhandlung telefonierte er mit dem bekannten Medizinrechtler Rainer Beckmann (Autor eines Beitrags „Hirntod = wirklich tot?“). Man hat den Eindruck, er klammert sich an jeden Strohhalm.
Sein Sohn (31) bestätigt als Zeuge die Bewegungen der Mutter. „Sanft, aber deutlich“, sagt er. „Gestern habe ich ihre Hand gehalten und sie hat den Kopf langsam hin und her bewegt.“ Der Sohn ist Wissenschaftler, er promoviert gerade. Er schildert eine Bewegung des Fingers, ein Zucken der Schultern. Einmal habe sie die Augen zusammengekniffen, als er ihr über den schmerzenden Bauch strich. Sein Vater sagt unter Tränen: „Ich habe sie an der Wange angefasst, da hat sie sich bewegt.“
Lazarus-Phänomen
Aus Sicht des Neurologen Dr. Erbguth sind zumindest alle Bewegungen abwärts der Kinnkante „spinal erklärbar“. Auch bei seiner Untersuchung hat er Bewegungen bei der Patientin registriert. Er hält sie für typisch. Wenn das Gehirn ausfalle, übernähme das Rückenmark. „Wenn der obere Chef zugrunde geht, machen die unteren Instanzen, was sie wollen.“ Der Neurologe hat sich viel mit dem „Lazarus-Phänomen“ beschäftigt: „Ich verstehe jeden Angehörigen, der den Todesbegriff mit so einem Geschehen schwer in Übereinstimmung bringen kann.“
Für ihn sind die spontanen Bewegungen aber Beweis für den Hirntod. Der Mensch reagiere wie „innerlich geköpft“. Früher hätten Studenten zum Beweis dafür „Mäuse geköpft, die weiterliefen“. Der „Restleib“ werde durch intensivmedizinische Behandlung und Beatmung aufrechterhalten. Theoretisch könne sogar ein kopfloser Mensch an einer Herz-Lungen-Maschine überleben: „Der Körper lebt weiter, und er zuckt auch.“
Ehemann: „Wir werden gefoltert!“
So drastisch die Worte des Neurologen, so wenig überzeugen sie den Ehemann. Nach Aussage der Anwältin Alexandra Glufke-Böhm ist der einzige Wunsch der Familie Klarheit. „Sie können nicht trauern, weil sie nicht wissen, ob die Frau und Mutter tot ist.“
Der Ehemann ergreift mehrmals das Wort und wird emotional, kassiert einige Rügen. Man müsse sich „diesem zermürbenden Verfahren“ aussetzen: „Das Ableben meiner Frau, dem können wir uns nicht widmen. Das ist grausamst.“ Er fordert eine weitere Untersuchung durch einen unabhängigen Sachverständigen: „Wir werden gefoltert. Zwei Monate kämpfen wir für die Untersuchung, dass die noch gemacht wird. Mit allen Mitteln.“
Möglicherweise läuft es nun genau auf das hinaus. In dem bevorstehenden Hauptsacheverfahren könnte das Gericht einen eigenen Gutachter benennen. Zuständig wäre dann die 1. Zivilkammer. Einen Termin gibt es noch nicht. L
Die Entscheidung ist damit aufgeschoben. Die Patientin „lebt“ damit zunächst weiter. Und Ärzte und Pfleger müssen weiterhin eine möglicherweise Hirntote behandeln.




