OTH Amberg-Weiden
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Das Ohr denkt mit: Warum Sounddesign unsere Wahrnehmung verändert

Amberg. Ein Kult-Kaffeehaus-Gespräch mit Prof. Dr. Maximilian Kock, OTH Amberg-Weiden, über Klang, Kultur und das tonale Erzählen von Geschichten – anlässlich der Neuerscheinung der zweiten, erweiterten Auflage seines Standardwerks „Wie Sounddesign wirkt“ (Hanser Verlag).

Das Ohr denkt mit: Warum Sounddesign unsere Wahrnehmung verändert

Kaffeehaus-Gespräch mit Professor Maximilian Kock zur Neuerscheinung seines Buches „Wie Sounddesign wirkt“. Foto: Jürgen Herda

Noch bevor wir sehen, riechen, schmecken oder tasten können, hören wir. Im Mutterleib, geborgen und blind, ist das Ohr unser erster Sinn. Es öffnet das Tor zur Welt, empfängt den Rhythmus des Herzens, das Rauschen des Blutes, die gedämpfte Sprache der Mutter. Wer hört, ist verbunden – mit der Zeit, mit der Welt, mit sich selbst. „Das Hören ist unser Zeitorgan“, sagt Prof. Dr. Maximilian Kock, Sounddesigner, Musiker und Professor für Audioproduktion, Klangerzeugung und Psychoakustik an der OTH Amberg-Weiden.

Beim Sehen sind wir auf das beschränkt, was vor uns liegt. Das Ohr aber nimmt uns mit – in Vergangenheit und Zukunft zugleich.

Prof. Dr. Maximilian Kock

Der Anlass für unser Gespräch: die zweite, erweiterte Auflage seines Buches „Wie Sounddesign wirkt“ (Hanser Verlag). Ein Werk, das die Geschichte des Hörens nicht nur erzählt, sondern hörbar macht – eine Expedition in jene Sphäre zwischen Technik und Emotion, in der Klang zur Erzählung wird.

Der Hai, der nicht zu sehen war

Kaum ein Beispiel zeigt die Macht des Klangs besser als John Williams’ Titelmotiv im „Weißen Hai“. Es sind genau zwei Noten, die einer Generation von Filmfans für immer ein mulmiges Gefühl am Strand bescherten. Da das Hai-Modell am Set oft defekt war, blieb Spielberg nichts anderes übrig, als die Bedrohung klingen zu lassen. Kock lächelt. „Das ist genau der Punkt: Der Ton erweitert das zweidimensionale Bild um eine dritte Dimension. Er schafft Raum, Atmosphäre, Erwartung. Sounddesign ist das tonale Erzählen von Geschichten, die im Kopf des Publikums weiterlaufen.“

Er verweist auf Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum. einer Collage klassischer Musikstücke, die Stanley Kubrick anstelle der eigens komponierten Musik von Alex North verwendete. Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ als Eröffnungsthema und Johann Strauss II. Walzer „An der schönen blauen Donau“. Dazu Werke von György Ligeti und Aram Chatschaturjan. „Man sieht das Raumschiff tanzen – der Ton macht den Weltraum fühlbar.“ Obwohl dieser Weltraum in der Realität tonlos ist: „Im Weltraum hört dich niemand schreien.“ Ein Zitat aus dem Film „Alien“ (1979).

Zwischen den Stühlen

Kocks eigener Lebensweg klingt wie eine Partitur aus Neugier und Umwegen. Geboren in Karlsruhe, aufgewachsen in Hagen, wollte er erst Musiker werden. An der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf studierte er Tontechnik – fühlte sich aber „zwischen den Stühlen“ von Musik und Ingenieurwesen. „Als Toningenieur musst du die Musiker verstehen, aber auch die Technik beherrschen. Das ist wie simultanes Denken mit zwei Gehirnhälften.“

Später arbeitete er freiberuflich für Radio und Fernsehen, war in den 1990ern Musikredakteur bei ProSieben. Dort schuf er das Soundlogo des Senders – in einer Zeit, als Hallgeräte 50.000 Mark kosteten und man den Hall auch hören wollte. „Die 90er waren überladen“, erinnert er sich. „Dann kam Rap – als Gegenbewegung, trocken, direkt, ohne Hall. Technologie war immer ein Treiber der Kultur.“

OTH Amberg-Weiden
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Vom röhrenden Porsche bis zum zischenden Getränk

Heute ist Sounddesign längst in allen Lebensbereichen angekommen. Der röhrende Porsche-Motor, der knackende Chips-Sound, das zischende Getränk beim Öffnen – Klang als Markenidentität. „Menschen hören Emotionen, bevor sie denken“, sagt Kock.

Sie spüren Kraft, Sicherheit oder Frische, noch bevor sie wissen, welches Produkt sie konsumieren.

Prof. Dr. Maximilian Kock

In der zweiten Auflage seines Buches widmet er dem Produkt-Sounddesign ein eigenes Kapitel. Denn der Abschied vom Verbrenner ist auch ein akustischer. „Lärm wird mit Kraft assoziiert. Das Fehlen dieses Sounds ist psychologisch schwer zu ersetzen.“

Audi hat es geschafft, den Sound eines vierfach klopfenden Herzens zu branden – die Zahl der Ringe im Logo. Blendamed klingt nach Biss, die Nürnberger Versicherung nach Burg und Sicherheit. Selbst der Defroster eines Autos, ein System, das die Scheiben von innen und außen von Eis, Schnee und Beschlag befreit, indem es heiße und trockene Luft auf sie bläst, müsse „effizient klingen, aber nicht zu spitz“.

Das Ohr als Sinn der Zeit

Zwei Sinne wirken auf Distanz – Auge und Ohr. Aber während Licht uns Blitze der Gegenwart liefert, braucht Klang Zeit. „Deshalb ist Hören eigentlich Wahrnehmung von Zeit“, erklärt Kock. „Wir spüren Rhythmus, Dauer, Erwartung – das ist zutiefst menschlich.“

Sehen sei dagegen ein Luxus der Moderne, ein Überfluss an Reizen, der das Ohr oft übertönt. „Schade eigentlich“, meint Kock, „denn ohne Hören gäbe es keine Sprache, keine Musik, keine Kommunikation. Und wahrscheinlich keine Kultur.“

Lehre als Klanglabor

An der OTH Amberg-Weiden lehrt Kock seine Studierenden, Klang als Gestaltungselement zu begreifen, nicht lediglich als Beilage. „Ich will, dass sie verstehen: Sound ist nicht nur Technik, sondern Emotion, Psychologie, Wahrnehmung. Wenn man Ton richtig einsetzt, kann man eine ganze Szene neu erzählen.“ Seine Studierenden experimentieren mit Bild und Ton, drehen Kurzfilme, entwerfen Klangräume.

Wir lassen einen Charakter von rechts ins Bild kommen – nur über den Ton. Das ist pures Erzählen mit Klang.

Prof. Dr. Maximilian Kock

Kocks Ansatz ist interdisziplinär: Musik, Elektrotechnik, Medienkunst, Wahrnehmungspsychologie. „Wir sind eine Fakultät, die viele Wege eröffnet – vom Film über Games bis zur Produktentwicklung. Sounddesign ist überall dort relevant, wo Menschen hören.“

Die Enteignung der Sinne

Kock warnt aber auch vor einer neuen Form der Enteignung: „Tech-Konzerne kontrollieren zunehmend, was und wie wir hören. Unsere Musik liegt in Clouds, unsere Geräte bestimmen, wann ein Update Schluss macht. Selbst Besitz wird akustisch virtuell.“

Das Ohr als offenes Tor zur Welt – plötzlich verschlossen durch proprietäre Formate. „Wir werden als Konsumenten in Hörökonomien eingespannt“, sagt Kock. „Dabei sollten wir Klang wieder als Teil unserer Freiheit begreifen – nicht als Algorithmus.“

Zwischen Mahler und Autotune

Schon als junger Mann hörte Kock gerne Mahler-Symphonien – „diese emotionalen Explosionen“, wie er sie nennt, müsse er laut aufdrehen. „Meine Frau hält das kaum aus.“ Er bewundert Mahler, weil der „das Tonsystem bis an seine Grenzen gedehnt“ hat – der Weg zur Zwölftonmusik von Arnold Schönberg.

Und auch die Popgeschichte kennt solche Revolutionen: der „Cher-Effekt“ in Believe – Autotune, einst als Korrektur-Tool gedacht, wird zum Stilmittel. „Plötzlich kippt die Stimme – ein ästhetischer Unfall, der Geschichte schrieb.“ Die bewusst als Klangeffekt eingesetzte, stark überhöhte Tonhöhenkorrektur wurde durch den Song Believe von Cher aus dem Jahr 1998 bekannt.

Klang als Philosophie

„Sounddesign ist mehr als technische Gestaltung“, sagt Kock. „Es ist Philosophie mit anderen Mitteln.“ Es erzählt, was das Bild verschweigt. Es öffnet Räume, wo der Blick endet. Es kann – wie beim Weißen Hai – Angst erzeugen, bevor wir wissen, warum.

Das Ohr, so Kock, „ist unser empfindlichster Sensor für Realität. Wir hören nicht, was ist, sondern was wir glauben, dass es ist.“ Vielleicht liegt darin die Magie des Sounddesigns: Es macht die Welt größer, als wir sie sehen können – und erinnert uns daran, dass jedes gute Bild zuerst gehört werden will.

Kaffeehaus-Gespräch mit Professor Maximilian Kock zur Neuerscheinung seines Buches „Wie Sounddesign wirkt“. Foto: Jürgen Herda

Wie Sounddesign wirkt

Wie Sounddesign wirkt: Von der Psychoakustik zum auditiven Medien- und Produktdesign Von Prof. Dr. Maximilian Kock, Hanser Verlag, 2. Auflage 2025

Sounddesign ist weit mehr als die technische Begleitung eines Films oder Produkts – es ist die Kunst, mit Klang zu erzählen. Das kompakte, praxisorientierte Fachbuch von Prof. Dr. Maximilian Kock zeigt, wie Tonspuren zu Trägern von Emotion, Atmosphäre und Bedeutung werden. Ausgangspunkt ist die Psychoakustik, also die Wissenschaft vom menschlichen Hören. Kock erklärt, wie persönliche Hörhistorie, kulturelle Prägung und individuelle Präferenzen das Erleben von Klang prägen – und warum das Ohr als „Zeitorgan“ unser Bewusstsein stärker beeinflusst, als uns bewusst ist.

Während in der audiovisuellen Praxis das Wissen über Ton meist mündlich weitergegeben wird, schließt das Buch eine wissenschaftliche Lücke: Es fragt, warum der Tonkanal vom Publikum als ebenso adäquat und immersiv wahrgenommen wird wie das Bild – und warum manche Filme, Spots oder Serien emotional tiefer wirken als andere.

Ein zentrales Kapitel widmet sich einer empirischen Studie mit 240 Probanden, denen Kock verschiedene Video-Audio-Kombinationen vorspielte. Das Ergebnis: Die Tonebene besitzt eine eigene kommunikative Kraft – sie wirkt nicht bloß ergänzend, sondern eigenständig erzählerisch. Professionelle Sounddesigner:innen lösen sich in ihrer Gestaltung zunehmend vom Diktat des Bildes und erschaffen etwas Neues: eine audiovisuelle Einheit, die mehr ist als die Summe ihrer Teile.

Das Buch beleuchtet dabei nicht nur filmische, sondern auch produktakustische Anwendungen – vom röhrenden Porsche bis zum zischenden Getränk, vom Soundlogo einer Versicherung bis zum audiophilen Markenklang im digitalen Zeitalter.

Mit zahlreichen Praxisbeispielen, Hörversuchen und theoretischen Reflexionen liefert „Wie Sounddesign wirkt“ eine inspirierende Synthese aus Wissenschaft, Wahrnehmungspsychologie und kreativer Medienpraxis – ein Standardwerk für alle, die Klang nicht nur hören, sondern verstehen wollen.