Totschlagsprozess: Kleine Prinzessin Romina

Weiden. “Die Familiensituation war ein durchgehendes Thema”, sagt Prof. Dr. Michael Osterheider über die Gespräche mit Steffi D. Der Professor für forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg hat die wegen Totschlags angeklagte 21-Jährige während der vier Verhandlungstage und bei Einzelgesprächen im Mai 2015 begutachtet. Aus seiner Sicht handle es sich um eine “psychisch sehr belastete, junge Frau.”

Von Benedikt Grimm

Für den zweiten Untersuchungstermin am 29. Mai hat Prof. Dr. Osterheider die Metzgereifachverkäuferin gebeten, ihre Gefühle nach Bekanntwerden der Schwangerschaft schriftlich festzuhalten. In der ersten Woche nach dem Termin beim Frauenarzt habe sie sich riesig gefreut, dass das Kind gesund ist. In der zweite Woche habe sie ihren beiden Söhnen erklärt, dass bald ein neues Geschwisterchen komme. Die beiden Jungen (2 und 4) hätten ihren Kopf auf den Bauch der Mutter gelegt und gehorcht, ob es sich bewege.

Kleine Prinzessin Romina

In der dritten Woche habe sie sich schlecht gefühlt. Sie wollte ihrem Vater von der Schwangerschaft erzählen, fand aber nicht den richtigen Moment. Sie habe sich einen Mädchennamen überlegt. “Da ich mir schon immer ein Mädchen gewünscht habe, eine kleine Prinzessin”, zitiert Prof. Dr. Osterheider aus dem Schreiben.

Ich bin immer glücklicher geworden, weil ich gemerkt habe, dass es sich bewegt

schreibt die 21-Jährige über ihren Gemütszustand in der vierten Woche. Sie habe sich im Kopf schon Pläne gemacht, wie sie das Zimmer für ihre Tochter umgestalten wolle. “Ich war so glücklich.”

Beim zweiten Termin am 29. Mai stellt Prof. Dr. Osterheider auch eine äußerliche Veränderung der Angeklagten gegenüber dem ersten Gespräch am 5. Mai fest. Sie hat sich geschminkt und die Haare anders frisiert. “Ich kam mir vor wie eine Leiche”, habe ihm die Angeklagte erklärt. Sie müsse es ja so nehmen, wie es ist. Sie wollte sich besser fühlen und habe im Gefängnisladen Kosmetika gekauft.

Versagen des sozialen Umfeldes

Die zweifache Mutter habe auf ihn einen eher labilen Eindruck gemacht, habe durchgehend Stimmungsschwankungen gezeigt, allerdings nicht über ein für die Situation adäquates Maß hinaus. Gedanken an Selbstmord habe sie glaubhaft verneint. Als Psychiater spricht Prof. Osterheider von einer “Broken-Home-Situation”. Sie habe sich in der eigenen Familie nicht wohl gefühlt. Die Beziehungsstrukturen seien paranoid gewesen. Auf der einen Seite sei sie nach dem Motto “Das wird schon irgendwie” von ihrer Familie unterstützt worden. Dann habe es wieder geheißen: “Das schaffst Du sowieso nicht.” Es sei nicht nur ein Versagen der Familienstruktur, sondern auch ein Versagen des gesamten sozialen Umfeldes.

Er habe Hinweise auf eine emotionale Verarmung ausgemacht. Steffi D. sei eine ausreichend geschulte und intelligente junge Frau, die noch keine passende Lebensperspektive gefunden habe. Für eine entscheidende Frage hat der Psychiater eine klare Antwort: “Eine dissoziative Amnesie ist definitiv nicht gegeben.” Unter diesem Zustand versteht man einen vollständigen oder teilweisen Ausfall der Erinnerung an die Vergangenheit. Verteidiger Christoph Scharf frägt den Gutachter, ob eine fehlende Steuerungsfähigkeit bei der Geburt vorgelegen haben könnte. “Aus meiner Sicht ist das nicht ausschließbar”, sagt Prof. Osterheider und verweist auf die bereits bekannte Drucksituation in der Kundentoilette, mit dem Vater, der an der Tür klopft und Leuten, die vor der Tür ihre Pfandflaschen am Automaten zurückgeben. Es könne sei, dass da die Mechanismen nicht so griffen, wie in einer normalen Situation.

Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das reine Spekulation?

frägt Richter Markus Fillinger. “Ja”, es sei relativ unwahrscheinlich, bestätigt der Universitätsprofessor. Am Montag werden Staatsanwalt und Verteidiger ihre Plädoyers verlesen.

Prof. Dr. Osterheider
Bei allen vier Prozesstagen beobachtete der psychiatrische Gutachter Prof. Dr. Michael Osterheider (rechts) die Angeklagte Steffi D.
DSC_3226
Prof. Dr. Michael Osterheider sichtet vor Verhandlungsbeginn seine Unterlagen.
Prof. Dr. Michael Osterheider Universität Regensburg

Bilder: B. Grimm

* Diese Felder sind erforderlich.