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Mit Fußtritten und Hundehaufen: Angriffe auf Polizisten nehmen zu

Weiden. Die Zahlen sind rasant gestiegen: Jeden zweiten Tag wird in der Oberpfalz ein Polizist tätlich angegriffen. Was steckt dahinter? Zwei Beispiele aus dem Amtsgericht Weiden.

Mit Fußtritten und Hundehaufen: Angriffe auf Polizisten nehmen zu

Polizei Symbolfoto Streife
Bei Blau sehen manche rot: Im Bild eine Streife der bayerischen Polizei. Foto: Bayerische Polizei

Dienstagvormittag, 16. Januar. Vor dem Schöffengericht von Richter Hubert Windisch sitzt ein 30-Jähriger aus Weiden. Kategorie: Häufchen Elend. Der Vorwurf: tätlicher Angriff auf Polizeibeamte. Er ist im November 2022 bei Freunden in Neustadt/WN ausgetickt, schnitt sich Arme und Hals auf. Randvoll mit “Benzos” (Benzodiazepinen) und Alkohol.

Mehrere Vergehen

Die Sanitäter fordern gegen 22 Uhr Unterstützung an. Der stark blutende Patient sei weggelaufen, nur im T-Shirt. Polizeibeamte folgen den Blutspuren im Schnee und gabeln den Mann in einem Garten auf. “Da war alles noch ganz ruhig.” Erst in der Notaufnahme rastet der 30-Jährige aus und will flüchten. Die Beamten halten ihn auf, bringen ihn zu Boden. Er tritt in Richtung aller vier beteiligten Polizisten, schreit “Fuck you” und “Missgeburten”. Er selbst kann sich an nichts erinnern.

Im April 2023 leistet er sich einen ähnlichen Ausfall in Hof. Im dortigen Kaufland setzt er bei einem Kaufhausdetektiv (67) zum Schulterwurf an. Auf der Polizeiwache in Hof gebärdet er sich so, dass er in die Zelle getragen werden muss. Dabei kickt er einem Polizisten mit dem Knie an Schläfe und Ohr.

Dreifachmord miterlebt

In allen Fällen haben Polizeibeamte im Dienst Verletzungen erlitten: blaue Flecken und Abschürfungen, Schwellungen und Kopfschmerzen. Es macht es für sie nicht besser, dass es natürlich eine Erklärung für das Verhalten gibt.

In diesem Fall: eine posttraumatische Belastungsstörung. Der gebürtige Litauer war als 13-Jähriger Augenzeuge eines Dreifachmordes. Sein großer Bruder brachte 2006 Vater, Mutter und einen weiteren Bruder um. Er selbst rettete sich durch einen Sprung aus dem Fenster. Eine irre Geschichte, nur leider wahr. Er kam ins Heim. “Teilweise habe ich auf der Straße geschlafen.”

Mit 19 Jahren eröffnet sich ihm über einen Kollegen die Chance, in Deutschland zu arbeiten. Er baut sich ein Leben auf: Arbeit, Freundin, Kind. 2016 holt ihn die Vergangenheit ein. Er sei depressiv geworden, beginnt das Trinken. “Ich bin allein, egal wo ich bin.” Mehrmals will er sich selbst einweisen, was am Kostenträger gescheitert sei.

Grammer Solar
Grammer Solar

Jetzt endlich, 2023, hat er eine mehrmonatige Therapie abgeschlossen. Im Abschlussbericht wird er als “freundlich und motiviert” beschrieben. “Ich bin absolut trocken”, sagt der 40-Jährige. “Ich möchte mich aufrichtig entschuldigen. Ich weiß, ich kann es besser.” Er bekommt seine Chance: 1 Jahr 10 Monate auf Bewährung.

Rentnerin greift mit Hundekot an

Ein Sitzungssaal weiter, gleiche Stunde. Auch bei Richterin Carina Särve wird ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte verhandelt. Mit einem Hundehaufen. Das “Tatörtchen”: ein Grünstreifen in der Innenstadt. Eine Seniorin (73) führte ihren Hund aus. Als der sein Geschäft verrichtet hat, geht sie einfach weiter. Das sieht eine zufällig vorbeikommende Polizeistreife. Die Beamtin fordert die Rentnerin auf, die Hinterlassenschaften mitzunehmen.

Das genügt für einen Totalausfall. Missmutig klaubt die Dame den Kot mit einem Taschentuch auf. Als die Beamten nach ihrem Namen fragen, marschiert sie zügig davon. Sie nennt die Polizistin ein “Mistweib”. Beide hätten “einen Dachschaden”. Der Beamte greift ihr an die Schulter, um sie aufzuhalten. “Sie hat wie für eine Ohrfeige ausgeholt und versucht, ihm den Hundedreck ins Gesicht zu schmieren”, beschreibt die Kollegin. Der Polizist kann den Kopf zurückziehen. “Man erlebt viel als Polizist”, sagt der 52-Jährige, “aber das war schon äußert unangenehm.”

Die 73-Jährige behauptet das glatte Gegenteil. Sie sei nur so schnell gegangen, um ihren Ausweis zu holen. “Es kann schon sein, dass dieses Kotbeutelchen ein bisschen an sein Gesicht rangekommen ist.” Sie habe sich nur gewehrt. Der Beamte habe sie “im Polizeigriff” umklammert. “Er hat mich angegriffen.”

Richterin verhängt dreimal Ordnungsgeld

Beide Polizisten beschreiben die Rentnerin als ungewöhnlich aggressiv. Man glaubt es ihnen aufs Wort. Denn: Die 73-Jährige kennt auch vor Gericht kein Halten. Sie unterbricht die Verhandlung so oft (“Ich bin empört”, “Lügen Sie nicht so unverschämt!”), dass die Richterin dreimal ein Ordnungsgeld von 100 Euro verhängt. Die Rentnerin reagiert mit Hohngelächter: “Ja genau: Strafen. Was anderes können Sie ja nicht.”

Ihr Verhalten bringt der 73-Jährigen am Ende eine höhere Strafe ein, als ursprünglich verhängt. Der angefochtene Strafbefehl hatte auf 90 Tagessätze à 30 Euro gelautet. Im Urteil werden es 100 zu je 35 Euro und damit insgesamt 3500 Euro. Die Richterin in der Begründung: “So wie Sie sich hier aufführen, kann man sich die Situation sehr genau vorstellen. Sie sind extrem respektlos.”

In einem Jahr über 230 verletzte Polizisten in der Oberpfalz

Für das Polizeipräsidium Oberpfalz nennt Pressesprecher Matthias Gröger erschreckende Zahlen. So sind die Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte kräftig angestiegen: von 534 im Jahr 2013 auf 675 im Jahr 2022. 182 davon waren tätliche Angriffe. Damit wurde statistisch gesehen jeden zweiten Tag ein Polizist in der Oberpfalz angegriffen.

Verletzt wurden dabei 234 Polizisten (vor zehn Jahren 134). Über zwei Drittel der Täter stand unter dem Einfluss berauschender Mittel. Die meisten Delikte ereigneten sich in den Städten: Regensburg (2022: 210), Weiden (73) und Amberg (50).

Priorisiertes Verfahren

Das Polizeipräsidium Oberpfalz kam mit den Justizbehörden bereits im Jahre 2018 überein, besonders aufsehenerregende bzw. sozialwidrige Gewaltdelikte zum Nachteil von Einsatzkräften beschleunigt zu bearbeiten.

Ziel war es, mit einem kurzen Zeitabstand zur Tat deutlicher auf das Unrechtsbewusstsein des Täters einzuwirken. Der präventive Effekt „Die Strafe folgt auf dem Fuße“ soll gefördert werden, erklärt Polizeisprecher Matthias Gröger. Die Schwere der Tat, das Vorgehen, die Motivation und die Person des Täters sowie die Auswirkungen auf das Opfer wurden dabei als entscheidende Indikatoren für eine Priorisierung erkannt.

In der Oberpfalz wurden im Jahr 2022 neun Fälle priorisiert bearbeitet. Ein Beispiel: Innerhalb von 19 Stunden erfolgte im Mai 2022 die Verurteilung eines Straftäters bei der Regensburger Maidult. Der 37-Jährige hatte bei einer Personenkontrolle nach Polizisten geschlagen. Schon am Folgetag fand die Hauptverhandlung am Amtsgericht Regensburg statt. Urteil: Eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Das entspricht drei Monatslöhnen.