Prozess in Weiden gegen 15-Jährigen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen

Prozess in Weiden gegen 15-Jährigen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen
Zum Prozessauftakt am Mittwochmorgen wird der 15-jährige Angeklagte am Hintereingang der Justiz Weiden vorgefahren. Polizei, Kripo und Justizwachtmeister erwarten ihn. Auf direktem Weg wird der Teenager in den Schwurgerichtssaal gebracht. Es gibt einen Zugang durch eine innere Tür.
Zuhörer und Presse müssen draußen bleiben. Sie sehen nur die verschlossenen Holztüren des Sitzungssaales 140. Und daneben den rot beleuchteten Schriftzug “Nicht öffentlich”. Der Prozess vor der Jugendkammer am Landgericht Weiden findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Hintergrund ist das jugendliche Alter des Angeklagten.
Es gibt ein umfangreiches Fotografier-Verbot. Keine Fotos im Eingangsbereich, keine im Gang. Von 8 bis 8.30 Uhr dürfen im leeren Gerichtssaal Bilder gemacht werden. Einziges Motiv sind die Pappschilder für die Prozessbeteiligten. Der Angeklagte wird von Strafverteidiger Georg Karl aus Regensburg vertreten. Drei Meter weiter sind die Plätze für die Eltern des getöteten Siebenjährigen reserviert, die sich als Nebenkläger von einer Anwältin vertreten lassen. Dahinter folgen Plätze für zwei weitere Nebenkläger: einen verletzten Lehrer (63) und den Pfleger (27), der damals eingriff. Am Tisch an der Seite wird der psychiatrische Sachverständige Platz nehmen.
Landgerichtssprecher: keine Infos über Verhandlung
Landgerichtssprecher Florian Bauer, der selbst in der Kammer als Richter sitzt, gibt kurz vor 9 Uhr ein kurzes Statement ab. Er bittet das halbe Dutzend Pressevertreter um Verständnis für seine Zurückhaltung. Es werde auch während des auf sechs Tage angesetzten Prozesses keine Informationen geben. “Sie können mich alles fragen. Aber ich werde nicht alles beantworten können.”
Damit besteht die Gefahr, dass viele drängende Fragen zumindest für die Öffentlichkeit unbeantwortet bleiben. In erster Linie: Wie konnte das passieren? Wie geriet ein als gefährlich eingeschätzter Amok-Planer an einen siebenjährigen Patienten der Tagesklinik?
Makaber: das Selfie vor der Tat
Donnerstag, 26. Oktober 2023, 9 Uhr. Ein Schüler (damals 14) postet ein Selfie von sich selbst auf Instagram. Aufgenommen ist das Foto in einem Waschraum. Man sieht am Bildrand einen Seifenspender. Der Teenager hat ein schwarzes Käppi tief ins Gesicht gezogen. Schwarzes T-Shirt, schwarze Hose, schwarze Handschuhe. In der linken Hand hält er ein riesiges Messer mit spitzer Klinge. In der rechten Hand das Smartphone. Unter das Foto schreibt er “Revenge” und postet es gegen 9 Uhr auf Instagram.
Um 9.30 Uhr geht der Notruf bei der Polizei ein. Großeinsatz bei der Medbo. Kripo und Generalstaatsanwaltschaft rekonstruieren später den Weg des 15-Jährigen. Demnach soll der Schüler zunächst in der “Schule für Kranke” auf dem Medbo-Gelände auf einen Lehrer (63) ohne Vorwarnung und mehrfach eingestochen haben. Anschließend ging er mit dem Messer in die benachbarte Tagesklinik der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Hier werden täglich von 8.30 bis 16 Uhr Kinder betreut, die beispielsweise an posttraumatischen Störungen oder Angsterkrankungen leiden. Dort, in Haus 26, traf der 14-Jährige auf den siebenjährigen Buben. Er griff das Kind mit dem Messer an, bis ein Erzieher ihn entwaffnen konnte.
Der Junge starb am Folgetag an seinen schweren Verletzungen. Er war sieben Jahre alt.
Messer von Besuchswochenende mitgebracht
Wie konnte es dazu kommen? Wie ist es dem Jugendlichen gelungen, aus seinem Elternhaus zwei Messer in die Klinik zu schmuggeln? Der Schüler durfte sich für kurze Zeiträume daheim in einem Ort im Landkreis Neustadt/WN aufhalten. Solche Erprobungen sind üblich, der Patient soll langfristig wieder eingegliedert werden.
Die Ermittler gaben später bekannt, dass der Angeklagte spätestens ab September Tötungsfantasien mit Messern hegte. Wenige Tage vor der Tat soll er die Messer eingeschmuggelt haben. Dass er gefährlich sein könnte, war bekannt. Er trug eine Fußfessel, laut “Mittelbayerischer” als einziger Jugendlicher Deutschlands. Als 13-Jähriger hatte er eine größere Polizeiaktion im Landkreis Neustadt/WN ausgelöst. Konkret wurden am 16. Januar 2023 drei Wohnungen durchsucht. Es handelte sich um den familiären Haushalt des 15-Jährigen und zwei Wohnungen, in denen ein Kumpel daheim war. Dieser wurde später als Mitläufer außen vor gelassen.
Wegen Amokplänen in der Unterbringung
Auslöser der Durchsuchung waren Äußerungen des 13-Jährigen im Internet zu konkreten Amokplänen. Er hatte intensiv über den Schul-Amoklauf von Columbine in den USA 1999 und zu den Morden in Winnenden 2010 recherchiert. Die Polizei fand Sprengstoff, Softair-Waffen und Bombenattrappen. Der 13-Jährige war strafunmündig, galt aber als gefährlich. Die Lösung war schließlich die Unterbringung im beschützten (geschlossenen) Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Regensburg.
Eine Sprecherin hatte nach der Tat betont, dass es sich um eine Klinik und nicht um ein Gefängnis handle. Eine beschützende psychiatrische Station sei vergleichbar mit einer Intensiv-Station einer somatischen Klinik. Die Patienten weisen ein besonders schweres Krankheitsbild auf und bedürfen einer besonderen medizinischen und therapeutischen Betreuung. Die Patienten durchlaufen dabei verschiedene Erprobungsstufen. Das Ziel sei immer die Verbesserung des Zustandes und die Rückkehr in ein normales Leben.
Fortsetzung erst im Januar
Nach Auskunft von Landgerichtssprecher Bauer sind 30 Zeugen vorgesehen. Am Mittwoch verlas zunächst die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft München die Anklage. Dann hatte der 15-Jährige die Gelegenheit zur Stellungnahme, gegebenenfalls über seinen Verteidiger. Auch die Mutter des Angeklagten wartete am Mittwoch beim Sitzungssaal. Ganz still, unbemerkt von Fotografen und Kamerateams. Das Elternhaus des Angeklagten gilt als völlig normal, es gibt ein Geschwisterkind, die Eltern haben bürgerliche Berufe.
Als erste Zeugen waren die Geschädigten vorgesehen, also der verletzte Lehrer und der Pfleger, der eingriff. Dann sollten Polizeibeamte folgen.




