Schmutziger Krieg nach WSW-Prozess: Ehepaar verklagt Kindermädchen

Schmutziger Krieg nach WSW-Prozess: Ehepaar verklagt Kindermädchen
Es handelte sich um eines der größten Strafverfahren der letzten Jahre. Vor dem Landgericht Weiden mussten sich Tina K., Vorständin der WSW-Genossenschaft, und ihr Ehemann verantworten. Sie hatten tausende Anleger um einen nachweisbaren Schaden von 6,8 Millionen Euro betrogen. Für die Vorstandsvorsitzende gab es 5 Jahre 10 Monate Haft, die sie aktuell noch absitzt. Ihr Ehemann (3 Jahre 7 Monate) ist seit Januar 2024 auf freiem Fuß.
Als er nach der Haftentlassung das Wohnhaus im Landkreis Neustadt/WN betrat, soll er ein ausgeräumtes Haus vorgefunden haben. Es gibt Vorher-Nachher-Bilder, die das dokumentieren, und vom Ehepaar auf einer Homepage mit dem Titel “Diebstahl Kalmreuth” veröffentlicht werden.
Rolex, Louis-Vuitton-Taschen, Designer-Sofa
Laut Ehepaar fehlen über 450 Gegenstände im Gesamtwert von 350.000 Euro. Vermisst wird praktisch alles: angefangen vom Designer-Sofa (Neupreis 13.000 Euro) aus dem Wohnzimmer bis zu rund 40 Uhren, darunter vier Rolex (die teuersten 9.000 Euro) wert. Die Liste des angeblich gestohlenen Inventars umfasst auch Geschirr und Besteck (japanisches Kochmesser für 2.000 Euro). Und natürlich den Schmuck von Tina K., darunter einige Sonderanfertigungen eines Weidener Juweliers.
Harter Tobak also, der dem Kindermädchen vorgeworfen wird. Sie habe die Zeit der Untersuchungshaft ab März 2022 ausgenutzt, um die Gegenstände zu entwenden und zu verkaufen. Rechtsanwalt Marius Hoser (Regensburg) erläutert die Position der Kläger vor der Zivilkammer am Landgericht Weiden mit Richter Uli Kappl.
Vollmacht – befristet oder nicht?
Blick zurück: Im März 2022 klickten im Haus im Landkreis Neustadt/WN die Handschellen. Am frühen Morgen stand die Kripo im Haus. Tina K. und ihr Ehemann kamen in Untersuchungshaft. Um den damals siebenjährigen Sohn kümmerte sich fortan das langjährige Kindermädchen der Familie. Für sie wurde vom Ehemann eine Vollmacht ausgestellt. Zudem besprach man sich bei Besuchsterminen.
Die Vollmacht beinhaltete die Ermächtigung, Gegenstände aus dem Haus zu verkaufen, um für den Sohn zu sorgen. Laut Klägeranwalt war diese Erlaubnis aber befristet, bis die Pflegestelle durch das Jugendamt eingerichtet und damit ein monatliches Einkommen gesichert war. Vom Anwalt des Kindermädchens wird das bestritten.
Weitere Personen hatten Zugang zu Haus
Ja, die Kinderfrau habe Gegenstände im Rahmen dieser Vereinbarung verkauft, sagt ihr Anwalt Marc Steinsdörfer. Es gibt Quittungen zweier Weidener Geschäftsmänner, die den Ankauf von Gegenständen im Wert von 3.300 bzw. 1.200 Euro bestätigen. Aber mehr auch nicht. Auch ihr sei aufgefallen, dass sich das Wohnhaus zunehmend leerte. Aber sie sei nicht die einzige mit einem Schlüssel gewesen: Außer ihr hätten vier weitere Personen Zugang gehabt, darunter der Sohn von Tina K. Der bestreitet das.
Kurzum: Die Zivilkammer kann die Sache am Dienstag nicht abschließen – noch lange nicht. Zunächst will Richter Kappl entscheiden, ob das Kindermädchen Auskunft über ihre Ausgaben für den Sohn geben muss. Das fordern die Eltern. Man hätte zumindest die größeren Ausgaben gern dokumentiert, erklärt Klägeranwalt Hoser, es müsse ja “nicht jedes Nutella-Glas” sein. Auch die vorgelegte Liste der verkauften Gegenstände will er nochmal neu – mit eidesstattlicher Versicherung.
Kritik an Honorarrechnungen
Hoser kritisiert zudem die Höhe der Honorarrechnungen, die das Kindermädchen in den ersten Monaten nach der Festnahme noch schrieb (in der Erwartung, die Eltern kämen bald wieder frei). Sie stellte pro Monat bis zu 370 Stunden zu je 10 Euro in Rechnung. Für den Klägeranwalt spricht das “nicht für reine Nächstenliebe”.
An dieser Stelle platzt im Prozess dem Anwalt des Kindermädchens der Kragen. Die Situation sei damals außergewöhnlich gewesen, erinnert Steinsdörfer. Von heute auf morgen wurden die Eltern des Siebenjährigen 2022 in Haft genommen. “Sie ist damals in der Not eingesprungen.” Niemand aus der Familie habe sich bereit erklärt, das Kind zu sich zu nehmen.
Das Kindermädchen ermöglicht dem Sohn bis zum heutigen Tag ein einigermaßen normales Großwerden – in bewundernswerter Weise.
Marc Steinsdörfer, Anwalt des Kindermädchens
Die Nanny kannte das Kind vom Tag seiner Geburt an. Sogar die Einschulung erfolgte nicht im Wohnort im Landkreis, sondern in ihrem Schulsprengel in Weiden. “Sie ermöglicht ihm bis zum heutigen Tag ein einigermaßen normales Großwerden – in bewundernswerter Weise.” Das Kind will nicht mehr zu den Eltern zurück, wehre sich “mit Händen und Füßen” gegen Besuchstermine. Dazu läuft ein Verfahren am Familiengericht. Auch dort werde “mit Haken und Ösen gekämpft”, so Steinsdörfer.
Polizeiliche Ermittlungen wieder aufgenommen
Beide Anwälte können bis Ende Januar neue Schriftsätze einreichen. Möglicherweise weiß man dann auch schon mehr, was das polizeiliche Ermittlungsverfahren anbelangt. Einmal hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen das Kindermädchen wegen Diebstahls schon eingestellt. Auf Beschwerde der Anwälte von Tina K. wurde das Ermittlungsverfahren noch einmal aufgenommen und ist noch nicht abgeschlossen.
Selbst wenn alle Wertgegenstände wieder auftauchen würden, ist fraglich, ob Tina K. und ihr Ehemann auch nur einen Cent behalten dürften. Im WSW-Urteil ist die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 6 Millionen Euro enthalten. Sprich: Der Staat hätte Zugriff, um die Geschädigten zu entschädigen.
Dass es überhaupt zur öffentlichen Verhandlung am Dienstag kam, ist auf das Betreiben des Ehepaars zurückzuführen. Wie Richter Kappl anmerkte, hätte man die Angelegenheit aus seiner Sicht auch schriftlich klären können.




