OTH Amberg-Weiden
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Sage von Rothenstadt: Wenn sich an Allerseelen die Gruft öffnet

Nordoberpfalz. Zwischen Allerheiligen und Allerseelen öffnet sich in Rothenstadt der Schleier zwischen Diesseits und Jenseits – so erzählt es die Sage von Rothenstadt. Nebel, Legenden und eine geheimnisvolle Gruft prägen diesen besonderen Ort an der Waldnaab.

Sage von Rothenstadt: Wenn sich an Allerseelen die Gruft öffnet

Sage von Rothenstadt - Allerseelen
In der Kapelle an der Straße zwischen Rothenstadt und Pirk öffnet sich in der Allerseelen-Nacht die Gruft. Jörg der Zenger findet wegen seines unerfüllten Gelübdes keine Ruhe. Foto: Martin Stangl

Allerheiligen und Allerseelen liegen nur einen Tag auseinander, und doch unterscheiden sie sich in ihrer Bedeutung deutlich. Während an Allerheiligen (1. November) die katholische Kirche aller Heiligen gedenkt, also jener Menschen, die ein gottgefälliges Leben geführt haben, ist Allerseelen (2. November) der Tag des Gebets für alle Verstorbenen. Gläubige beten dann für die Seelen im Fegefeuer, damit sie in die ewige Gemeinschaft mit Gott aufgenommen werden. In Bayern schmücken viele Familien an beiden Tagen die Gräber ihrer Angehörigen mit Chrysanthemen, Kränzen und Kerzen – ein stilles Zeichen der Verbundenheit über den Tod hinaus.

Auch in der Oberpfalz haben diese Tage eine besondere Bedeutung. Über den Friedhöfen schimmert fahles Mondlicht, hunderte von Grablaternen funkeln unruhig in der Nacht. Es ist die Zeit, in der die Menschen still werden, in der Geschichten und Erinnerungen aufleben. Und manchmal auch die alten Sagen.

Ein Hügel voller Geschichte und Geheimnisse

Zwischen Pirk und Rothenstadt, einem Ortsteil von Weiden, erhebt sich der Keckenberg – ein unscheinbarer Hügel, der auf 390 Metern über dem Meeresspiegel liegt. Wer an einem nebligen Herbsttag durch die immer wieder überfluteten Waldnaabwiesen spaziert, spürt schnell, warum dieser Ort die Fantasie beflügelt. Auf der verborgenen Anhöhe thront eine aus roten Backsteinen errichtete Gruftkapelle. Sie birgt die Gebeine von zwölf Mitgliedern des niederbayerischen Adelsgeschlechts von Sazenhofen, das über 350 Jahre das Rothenstädter Hofmarkschloss bewohnte.

Der Keckenberg ist nicht nur ein stiller Friedhof, sondern auch ein historisches Juwel. Die Motte – ein künstlich angelegter Erdhügel mit Turmburg – gilt als ältestes Bodendenkmal der Stadt Weiden. Heute erinnert nur noch wenig an die mittelalterliche Burg, die hier einst stand. Doch wer den Geschichten der Einheimischen lauscht, merkt schnell: Ganz zur Ruhe gekommen ist dieser Ort nie. Selbst in den Häusern rund um den Hügel berichten Anwohner, dass in manchen Nächten unerklärliche Geräusche zu hören seien – Schritte, Glockenläuten, manchmal auch leises Singen.

Die düstere Sage von Rothenstadt

Zur Zeit der Hussitenkriege, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, soll Burgherr Jörg der Zenger in Todesangst vor den Angreifern aus Böhmen geflohen sein. In seiner Not versprach er, auf dem Hügel eine Marienkapelle zu errichten, wenn er mit dem Leben davonkomme. Tatsächlich gelang ihm die Flucht nach Weiden – doch das Gelübde vergaß er bald. Stattdessen ließ er an anderer Stelle eine neue Burg bauen.

Von diesem Moment an, so erzählt die Sage, begannen seltsame Dinge zu geschehen. Alles, was tagsüber errichtet wurde, stürzte nachts wieder ein. Erst als der Mesner Paul der Kecke nach dem Tod des Burgherren auf dem Hügel eine Kapelle errichten ließ, endeten die Spukerscheinungen. Doch der Frieden währte nicht ewig. Die Menschen in Rothenstadt flüsterten sich zu, dass der Geist des Jörg der Zenger keine Ruhe fand, weil er sein Versprechen an Gott gebrochen hatte. Noch heute, so sagen alte Dorfbewohner, könne man in besonders klaren Nächten eine Gestalt mit einem Schwert in der Hand über den Keckenberg schreiten sehen.

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Von Geistern, Gelübden und einer Freifrau

Als in der Zeit der Reformation die Kapelle abgetragen wurde und ihre Steine in einer Brücke in Weiden Verwendung fanden, begann es auch dort zu spuken. Pferde scheuten, Reisende berichteten von Nebelgestalten, die plötzlich auf der Brücke auftauchten und ebenso rasch wieder verschwanden. Erst 1863, als Freifrau Caroline von Sazenhofen, geborene de Lasalle-Luisenthal (1801–1875), den Bau einer neuen neugotischen Gruftkapelle veranlasste, fand die unruhige Geschichte ihr vorläufiges Ende. Die Kapelle diente fortan als Familiengrab und letzte Ruhestätte von zwölf Angehörigen des Hauses Sazenhofen. Darunter befand sich auch Eduard Wilhelm Camillus von Sazenhofen (1830–1907), bekannt als der „Rosenkranzbaron“, der sich um den Bau der Pfarrkirche St. Marien in Rothenstadt verdient machte.

Heute wird die Gruftkapelle von der Freiherr von Luisenthal’schen Gruftkapellenstiftung betreut, die in Verantwortung der katholischen Kirchenverwaltung steht.
Der Ort hat nichts von seiner mystischen Atmosphäre verloren. Zwischen knorrigen Bäumen und raschelndem Laub scheint die Grenze zwischen Geschichte und Legende zu verschwimmen. Besonders in den Raunächten, wenn der Wind durch die Äste fährt, berichten Spaziergänger, dass sie ein leises Orgelspiel aus der Kapelle gehört haben wollen – obwohl die Tür fest verschlossen war.

Wenn sich in Rothenstadt die Gruft öffnet

Rund um Allerseelen, so berichtet die Sage von Rothenstadt, öffnet sich die Gruft am Keckenberg. Die Gebeine der Adeligen sollen dann mit der „Wilden Jagd“ durch die Lüfte brausen, begleitet von Hexen und Geistern. Der morbide Charme dieses Ortes zieht bis heute Besucher an, die den geheimnisvollen Hügel an stillen Herbsttagen aufsuchen. An jedem Palmsonntag wird hier der Kreuzweg unter freiem Himmel gebetet – dann öffnet sich die Kapelle auch für die Lebenden.

Doch Geister, heißt es, brauchen keine Tür. Sie finden ihren Weg von allein. Und wer in einer Allerseelennacht durch die Waldnaabaue wandert, sollte sich nicht wundern, wenn plötzlich eine kalte Brise über den Keckenberg streicht und es flüstert: „Halte dein Gelübde!“ Vielleicht ist es nur der Wind, vielleicht aber auch die Erinnerung an eine alte Schuld, die bis heute in den roten Ziegeln der Kapelle nachhallt.

Wer Glück hat, trifft auf einen der älteren Bewohner Rothenstadts, die mit leuchtenden Augen berichten, wie sie als Kinder heimlich zur Gruft hinaufstiegen, um die Geister herauszufordern.


Buch: Die unheimlichsten Orte in Weiden und Neustadt/WN

Die Sage von der Gruftkapelle und viele weitere mysteriöse Geschichten von den unheimlichsten Orten in der Stadt Weiden und im Landkreis Neustadt an der Waldnaab ist in folgendem Buch nachlesen:

Wolfgang Benkhardt, Von Hexen, Geistern und Verbrechern – Weiden & Neustadt a. d. Waldnaab

Buch- und Kunstverlag Oberpfalz, 160 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, 17,90 EUR