Dialekte als Seelensprache: Anthony Rowleys Vortrag in Pressath

Dialekte als Seelensprache: Anthony Rowleys Vortrag in Pressath
Als „Houst mi?“ hatten Heimatpflegebund Pressath, Volkshochschule Eschenbach und Kolpingsfamilie Professor Anthony Rowleys Vortrag über die Mundarten der Oberpfalz und speziell des Pressather Raums angekündigt – anknüpfend an Rowleys beliebte Mundartkolumne „Host mi?“ im Nachmittagsprogramm des Bayerischen Fernsehens. Am Ende entschied sich der Sprachwissenschaftler und Star-„Dialektiker“ für die Mehrzahl „Haouts mi?“ – was dem immerhin 140-köpfigen Publikum im voll besetzten Pfarrsaal als Anrede fraglos angemessener war.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten müsse man sich als nordoberpfälzischer Dialektsprecher keineswegs mehr schämen, stellte Rowley klar: Zum einen sei längst erwiesen, dass eine von klein auf trainierte standarddeutsch-dialektale „Zweisprachigkeit“ Kinder nicht überfordere, sondern im Gegenteil Leistungsfähigkeit des Gehirns, Intelligenz, sprachliche Ausdruckskraft und Befähigung zum Erlernen weiterer Sprachen stärke. „Goethe und Schiller waren auch Mundartsprecher, und Goethe war überzeugt, dass ‚die Seele im Dialekt ihren Atem schöpfe‘“, erinnerte der Geschichtskenner und ergänzte, dass bis vor etwa 100 Jahren das Standarddeutsche fast nur als Schriftsprache gedient habe und Dialekt das übliche Medium der mündlichen Kommunikation gewesen sei.
Die gesellschaftliche Bedeutung der Dialekte
Streng genommen fielen auch die Mundarten unter den Artikel 3 des Grundgesetzes, der Benachteiligungen oder Bevorzugungen „wegen der Sprache“ verbiete. Dass dieses Verdikt Diskriminierungen aufgrund von Mundartgebrauch einschließe, sei sogar schon gerichtlich bestätigt worden, wusste der Referent.
Zum Anderen seien die Dialekte weit mehr als die wesentlich jüngere, geschliffene Standardsprache Spiegelbilder und Speicher geschichtlich-kultureller Entwicklung und Eigenart. In ihren Formulierungen bewahrten sie Reminiszenzen an teils uraltes Brauchtum, Glaubens- und Sprachgut und illustrierten so kulturgeschichtliche Prozesse und Wechselbeziehungen.
Historische und linguistische Einsichten
Rowley veranschaulichte dies an mehreren Beispielen. So greife das alte bairische Wort „Irta“ oder „Erchtag“ für den Dienstag bis in die griechische Antike zurück, denn darin verberge sich der Name des griechischen Kriegsgottes Ares. Und „Grüß Gott“ sei eine aus dem irischen Gälisch allzu direkt übersetzte Redewendung, die im Zuge der Christianisierung mit den irischen Missionaren ins Land gekommen sei und sinnvoller mit „Gott segne dich“ wiedergegeben werden sollte.
Ferner bescheinigte der Linguist den traditionellen Volkssprachen einerseits eine oft präzisere, anschaulichere Ausdrucksweise, zum anderen aber auch eine rationellere Struktur. So komme das Bairische ohne Präteritum („ich ging“, „ich stand“) und Genitiv aus, ohne dass die Genauigkeit des Ausdrucks leide.
Andererseits beweise es besondere Präzision etwa bei geografischen Richtungsangaben oder bei dem nach Geschlechterkonstellationen in Paaren unterscheidenden Gebrauch verschiedener Wörter für die Zahl „zwei“. Letzteres dokumentiere ein in „Waldlersprach“ gehaltenes Gedicht von Max Peinkofer: „‚Zwä Hund, zwo Katzn und zwoa Schaf‘ – männlich, weiblich, sächlich.“ Dabei sei das Bairische sogar „geschlechtergerechter“ als die meisten Sprachen: „Bei einem männlich-weiblich gemischten Paar wird nicht die männliche, sondern die neutrale Form des Zahlworts verwendet.“
Regionale Unterschiede und Erhalt des Dialekts
Gerade in der Mundart der Pressather Region haben sich nach Anthony Rowleys Expertise die Eigenarten der „nordbairischen“ Sprachvarietäten besonders rein und „beharrsam“ erhalten. „Niederbairische“ Einflüsse, wie sie sich schon südlich von Weiden „einschlichen“, spielten hier kaum eine Rolle, vor allem das Lautrepertoire mit den charakteristischen „gestürzten Diphthongen (Doppellauten)“ wie „èj“ oder „óu“ sei hier bewahrt worden.
Allerdings habe die Nähe zum oberfränkischen Dialektgebiet durchaus Spuren hinterlassen: Zwar sage man im Pressather Raum „niad“, während wenige Kilometer westlich bereits „ned“ üblich sei. Doch seien fränkische Formen und Ausdrücke wie „una“ (unser) oder „Schlóutfécher“ (Kaminkehrer) auch in den hiesigen Sprachgebrauch eingedrungen.
Würdigung der Dialektforschung
Nicht unerwähnt ließ Anthony Rowley den aus Tirschenreuth stammenden Sprachforscher Johann Andreas Schmeller und sein zwischen 1827 und 1837 erschienenes „Bayerisches Wörterbuch“. Schmeller habe die Dialekte als „vollständigsten Lebensabdruck des Volkes“ wertgeschätzt. Eine erste gedruckte Sammlung bairischer Dialektausdrücke sei schon aus dem Jahre 1659 überliefert.
In jüngster Zeit dokumentierten der „Bayerische Sprachatlas“, neuere Mundartwörterbücher und die Datenbank „Bayerns Dialekte online“ die altbairischen, fränkischen und schwäbisch-alemannischen Volkssprachen Bayerns, 350 „Korrespondenten“ sammelten im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften nach wie vor Mundartausdrücke.
Wie aber kam es, dass ein gebürtiger Engländer zu einem der führenden bayerischen Mundartkenner und ab 1988 für gut 30 Jahre zum Leiter der Redaktion des von der Akademie der Wissenschaften herausgegebenen neuen „Bayerischen Wörterbuchs“ avancierte? Rowley, dessen Interesse für die bairischen Mundarten durch seine Doktorarbeit über eine bairische Sprachinsel im norditalienischen Trentino geweckt worden war, hatte dafür eine scherzhafte Erklärung: „Vielleicht haben sich die Entscheider gedacht: Hauptsache, es ist kein Preuße!“




