Schobers-Rock-Kolumne: Eine Ausgabe in Moll mit Quoten-Ausreißer

Schobers-Rock-Kolumne: Eine Ausgabe in Moll mit Quoten-Ausreißer
Herbstzeitlose
Die Herbstnebel liegen schon schwer über der Landschaft, dazu passt eine Totgeglaubte, aber alte Bekannt. Vor zirka 35 Jahren debütierte Tanita Tikaram mit dem Song, „Twist In My Sobriety“ der seit dem ein fester Bestandteil jeder Radio-Playlist geworden ist. Das dazugehörige Album hieß „Ancient Heart“ und berichtet von einer lesbischen Frau, die gefangen im eigenen Haus und Leben war.
„LIAR (Love Isn’t A Right)“ (Cooking Vinyl) knüpft dort an, spinnt die Geschichte fort, nur fühlt sich dieselbe Frau in ihrem eigenen Land wie eine Fremde, da Politik und Gesellschaft sich immer mehr spalten. Zu traurigen Geschichten spielt eine Kammerband des 21.Jahrhunderts mit Helen O’Hara (Violine – The Charlatans/Dexys Midnight Runners), Marc Pell (Schlagzeug – Mount Kimbie), Zosia Jagodzinska (Cello), Lewis McLaughlin (Gitarre), Chris Roberts (Gitarre – Filkin’s Drift) und Bartek Glowacki (Akkordeon) verhangene Moll-Melodien die die ebenso traurig und leidende Stimme unserer Protagonistin liebevoll umgarnen.
Herbstzeitlose II
Wir bleiben in ruhigen Fahrwassern, wenn es blöd läuft, wird das wieder so eine Leisetreter-Kolumne wie bei der letzten Ausgabe, aber zur kalten Jahreszeit passen so gemütliche Klänge halt auch viel besser. Betulich lassen es also auch Ocie Elliott angehen. Das kanadische Duo hat es sich in seinem „Bungalow“ (Nettwerk) arg gemütlich gemacht, das Kaminfeuer entzündet, eine gute Flasche Roten entkorkt und sich auch noch die Gitarren geschnappt.
So gerüstet entstehen zart-fragile Folk-Songs die nicht das große Orchester suchen, durch die gefühlvollen und vollendet harmonierenden Stimmen von Jon Middleton und Sierra Lundy leben. Die beiden sind zudem noch kreuz-sympathisch, ökologisch auf dem neuesten Stand und würdige Adepten von Simon & Garfunkel, Nick Drake oder Elliott Smith. Apropos Elliott Smith: Den Namen erhielt die Band, nachdem Middleton, inspiriert von Lundys Besessenheit mit den 1920er Jahren, in einem Namensgenerator aus den 1920er Jahren den Namen “Ocie Cleve” fand und ihn mit dem Vornamen des Folksängers kombinierte. Ein Füllhorn an Oden an die Liebe, ganz lieb und ohne Kitsch.
Der Name trügt
Interessant wäre es zu wissen, wie Nina Cristante, Jezmi Tarik Fehmi und Sam Fenton zu dem seltsamen Namen Bar Italia gekommen sind. Auf “Some Like It Hot“ (Matador) findet man weder Barmusik noch irgendwelche Verweise Richtung Italo-Pop (was -by the way- sehr zu begrüßen ist) Beim Albumtitel ist man natürlich sofort mittendrin beim Filmklassiker von 1959 (meinem Geburtsjahr) mit Marilyn Monroe, Tony Curtis und Jack Lemmon. Auch hier keinerlei Bezugspunkte die sich mir erschließen würden.
Ist aber ja auch egal, es geht um die Musik und jeder kann sich oder was auch immer benennen wie er möchte. Das Trio aus London steckt noch knietief im etwas härteren Sound des New Wave fest, gleich der Opener „Fundraiser“ assoziiert The Cure und auch „I Make My Own Dust“ geht ganz schön an die Wäsche. Dann gibt es aber auch eher gemäßigtere Momente wie z.B. „Bad Reputation“, das auch gut auf eine Scheibe der Dexy Midnight Runners gepasst hätte.
Völlig entschleunigt und atmosphärisches Sahnehäubchen ist die Ballade „Plastered“, die dann vom punkigen „Rooster“ mit Zerr-Gitarre konterkariert wird und wiederum vom Slow-Core von „The Lady Vanishes“ abgelöst wird. Man merkt, die Haribo-Tüte ist heftig gemischt, was durch die unterschiedlichen Stimmen der drei Protagonisten (richtig, alle Mitglieder haben ihre eigenen Gesangparts) noch verstärkt wird. Ein Wechselbad der Gefühle, ein Wechselbad der Sounds.
The Return of große Popkunst!
Da geht Neil Hannon schon weitaus geradliniger zu Werke. Als Vorstand der „Göttlichen Komödie“, besser bekannt als The Divine Comedy, hat er einfach mal wieder eine gute Handvoll allerfeinster Popmusik geschrieben, arrangiert und aufgenommen. Nach eigenen Worten spiegeln diese Lieder das Auf und Ab seines eigenen Seelenlebens wieder: traurig, lustig, wütend und auch irgendwie alles dazwischen. Aber das kennt man ja von dem belesenen Barden.
Hannon badet in seinen himmlisch arrangierten, akustischen Arrangements, schart Streicher und Bläser, Chöre, halt ein ganzes Orchester um sich und wirft sich mit vollmundigem Verve in diese von Jaques Brel, von Scott Walker, Michael Nyman aber auch den Beatles und Beach Boys inspirierten Kunst-Lieder. „Rainy Sunday Afternoon“ (PIAS) ist erneut ein opulentes, barockes, kunstvoll arrangiertes Meisterwerk geworden, genau um es an regnerischen Sonntagen immer und immer wieder zu hören.
Ach ja: gibt es auch als Ltd. Deluxe 2CD: (11-Track-CD des Albums im Gatefold-Sleeve mit Lyrics-Booklet + Bonus-Disc ‘Live in Paris & London’. Die hol ich mir!
Trübe Tage in Schweden
Gut zu regnerischen Tagen passt auch das aktuelle Werk des Schweden Christian Kjellvander. Der Singer/Songwriter gilt ja gemein hin auch nicht gerade als Pausenclown und „Ex Voto / The Silent Love“ (Tapete) ist eine seiner dunkelsten, aber vielleicht auch schimmernsten Platten. Es ist ein leises zerstörerisches und zutiefst intimes Werk, das eine inoffizielle Trilogie vollendet, die sich mit Liebe in ihren zartesten, konfliktreichsten und spirituellsten Formen beschäftigt.
Von der geisterhaften Intimität von „Love Of Another“ bis zum stürmischen Crescendo von „Deathrider“ bewegt sich das Album mit Geduld und Zielstrebigkeit. Songs wie „God Simple“ und „It Can Heal If You Let It“ gleiten in langsamen Grooves zu emotionaler Katharsis, während „The View Is Watching“ zu einem schattigen, psychedelischen Klagemarsch anschwillt. Selbst das instrumentale „Ex Voto“ summt mit spiritueller Schwere -und führt uns schnurstracks zu einem Seelenverwandten dieser Klänge: Nick Cave. Aber auch ex-Parkettleger Kurt Wagner als auch Leonard Cohen mögen hier noch zur Orientierung genannt werden.
Punk mit Piano
Zum Schluss noch etwas für Liebhaber des Skurrilen und Sonderbaren. Laurence Burrow ist pensionierter psychiatrischer Krankenpfleger und hat eine Ausbildung in Kunstpsychotherapie. So weit, so gut. Zudem bedient der Mann aber unter dem Pseudonym Monty Oxymoron seit langem die Tasten bei den Punk-Rockern von The Damned.
Auf seine alten Tage (das macht er nämlich nun schon seit fast 40 Jahren!) bringt er mit „”The Piano Plays ‘til Midnight: Monty Oxymoron Plays The Songs of The Damned”“ (Cargo) ein Solo-Album heraus, worauf genau das passiert, was der Titel ankündigt. Dass diese Lieder dann als reine Klavier-Instrumentals dann mitunter sogar einen klassischen Ansatz bekommen oder wie die Untermalung eines Stummfilms klingen überrascht dann doch. Kann man übrigens ebenfalls an Regentag gut hören!


