90-jähriger Zeitzeuge erzählt über die Vertreibung aus Böhmen

90-jähriger Zeitzeuge erzählt über die Vertreibung aus Böhmen
Der 90-jährige Josef Hoffmann ist Ehrenvorsitzender des 1993 gegründeten Heimatvereins “Eisendorf und Umgebung”, der aktuell 2023 in eine Interessensgemeinschaft ohne Beitragszahlung umgewandelt wurde. Der Zeitzeuge erzählte von der Vertreibung aus Böhmen und einem nicht einfachen Leben.
Wichtig für ihn und seine Landsleute ist die Aufrechterhaltung der böhmischen Tradition und der Geschichte. Hoffmann freut sich alle Jahre auf das Böhmen-Treffen am ersten Julisonntag in Eslarn und reist dafür von seiner Wahlheimat in Niefern-Öschelbronn (rund 12.500 Einwohner) aus Baden-Württemberg rund 350 km an.
Der Geburtsort von Josef Hoffmann war das böhmische Eisendorf (heute Zelezna), die tschechische Nachbargemeinde von Eslarn. “Der Hausname meiner Mutter Walburga, geborene Ziegler war Richter und von meinem Vater Karl Hoffmann war Könich.” Der Großvater war Bäckermeister und Landwirt und sein Vater Karl Hoffmann ebenfalls Bäcker, war aber eher mit Leib und Seele Fuhrmann und Pferdefreund.
Tausch mit US-Soldaten: Hühnereier gegen Schokolade
Wie viele andere musste auch sein Vater 1939 in den Krieg. “1946 kamen die Amerikaner ohne einen Schuss nach Eisendorf und für ein Hühnerei erhielten wir von den Soldaten leckere Schokolade.” Fast täglich ratterten Transportfahrzeuge mit gefangenen Deutschen in Richtung Eslarn. “Die neu angesiedelten tschechischen Staatsbürger holten alle Akten und Karten aus unserem Rathaus, der Schule und dem Pfarrhaus und verbrannten alles.”
Nach der Gründung der Tschechoslowakei entwickelten sich gegen die deutschsprachige Bevölkerung in Böhmen und Mähren negative Einflüsse. “Über Nacht stand plötzlich ein Schlagbaum an der Grenze und wir konnten nicht mehr wie wir wollten nach Eslarn fahren.” Sein Vater wurde aus der englischen Gefangenschaft nur entlassen, da er Eslarn als Zielort angab. “Mein Vater erzählte, dass die Sudetendeutschen nicht in ihre tatsächliche Heimat entlassen werden durften.” Als sein Vater über die Grenze in seine Heimat Eisendorf zurück wollte, wurde er von Tschechen festgenommen und ihm die Firmen-Uhr und der Ehering abgenommen.
Beneš-Dekrete legitimierten Vertreibung
Erst als die Familie Hoffmann in Eisendorf wieder ein Pferd hatte, was früher das einzige Fortbewegungsmittel war, wurde es besser. Die Familie durfte für die tschechische Bevölkerung Milch nach Weißensulz fahren und Waren in Hostau abholen. Über Nacht gingen Gerüchte um, dass alle Sudetendeutschen ihre Heimat verlassen müssen. Mit den sogenannten Beneš-Dekreten legitimierte die damalige Tschechoslowakei die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Einige Eisendorfer schleppten in der Nacht alles, was sie tragen konnten, trotz der großen Gefahr erwischt zu werden, über die Grenze und lagerten es unmittelbar nach der Grenze auf deutscher Seite an der Tillyschanz in Scheunen und im alten Sägewerk. Die Amerikaner merkten dies, holten die Sachen aus dem Versteck und übergaben alles den Tschechen. Darauf verloren viele über Nacht ihr Hab und Gut und mussten mit Nichts auswandern.
Erst 1946 übergesiedelt
Die Landsleute fanden nahe der Grenze oder auch in ganz Süddeutschland eine neue Heimat. “Wir mussten erst am 19. August 1946 unsere Heimat verlassen, da wir mit anderen Landwirten für die Tschechen erst die Ernte einfahren mussten.” Vorher trieben die Geschwister Hoffmann zwei Kühe in Richtung Westen. Nach der Rückkehr ging es auf einem Lastwagen mit Koffer und Kisten, in denen vor allem Brot verstaut war, über die Grenze und mit dem Viehwagen weiter nach Furth im Wald. Eigentlich waren nur 50 Kilogramm je Person an Gepäck erlaubt.
Die Fahrt führte weiter über Nürnberg in den Landkreis Pforzheim nach Baden-Württemberg. “Die Städte waren zu 85 Prozent kaputt, wir hatten aber Glück und fanden für unsere achtköpfige Familie eine Unterkunft, jedoch ohne Möbel.” Nach der Schule erlernte Josef Hoffmann den Schreinerberuf und sparte auf sein Traumfahrzeug, einen NSU-Fox. “Da ich als gelernter Schreiner nur 70 Pfennig die Stunde erhielt, musste ich lange sparen.”
Tochter fand in Neuseeland ihr Glück
Die erste Fahrt nach Eslarn mit zwei Jugendfreunden im NSU erfolgte 1954, in dem Jahr legte Hoffmann in der Schweiz die Meisterprüfung als Schreiner ab und wurde 1961 selbstständig. “Mein Anfangskapital waren zu Beginn meine Hände und mein Arbeitsgeist.” 1964 baute Hoffmann eine Werkstatt mit rund 300 Quadratmetern, und Tochter Ute fand in Neuseeland mit Steve Macintosh ihr Glück.
Nach der Grenzöffnung 1989 unternahm Hoffmann zwei bis drei Fahrten nach Eslarn und erinnerte sich noch an die Kapelleneinweihung 1975 und das erste große Kapellenfest mit dem damaligen Ortsvorsitzenden Toni Ziegler. An der Spitze der Eisendorfer Gemeinschaft standen bisher die Ortsvorsteher Emil Reimer, Karl Hoffmann und Rudolf Forster. Bei einem Treffen der ehemaligen Eisendorfer 1990 am Stammtisch beim “Boderbecken” im Cafe Karl schlug Hoffmann die Gründung eines Heimatvereins vor.
Inzwischen freundschaftliche Kontakte nach Tschechien
Ein erfreulicher Höhepunkt für die ehemalige Dorfgemeinschaft war die Grenzöffnung 1990, die Restaurierung des Steinockkreuzes und des Kriegerdenkmals in Zelezna. “Wenn du einen Heimatverein gründest, bin ich dein zweites Mitglied”, so der damalige Bürgermeister Karl Roth. Der Bürgermeister wurde das zweite Mitglied und er sagte die Unterstützung der Gemeinde sowie Vorsitzenden Hans Bauer vom Fremdenverkehrsverein zu.
Hoffmann wurde 1991 zum Ortsbetreuer gewählt und die Solidargemeinschaft gründete 1993 im Cafe Karl den Heimatverein, in dem Eslarner, ehemalige Eisendorfer und Umgebung Mitglied wurden. Durch die tollen Wanderungen, Fahrten und Treffen mit den tschechischen Nachbarn folgten in den Jahren weitere freundschaftliche Kontakte zu den tschechischen Behörden und der Bevölkerung, besonders zu Bürgermeister Libor Picka in Bela nad Radbuzou/CZ.
Diebstähle an Erinnerungsort
“Da die öffentlich rechtliche Körperschaft auch Einnahmen verbuchen konnte, organisierte ich in meiner Heimat Niefern-Öschelbronn mit großen Erfolg den ersten Egerländerabend.” Da diese Großveranstaltung wiederholt wurde und auch in Eslarn Veranstaltungen angeboten wurden, kam auch wieder Geld in die Vereinskasse. Als Handwerker konnte er auch kostenlos noch einige Anschaffungen wie Infotafel an der Tillyschanz, Holzaltar mit Betschemel für die Kapelle, Bänke, Kapellenbild, Gefallenentafel und Hinweis-Schilder aus Holz einbringen. Leider wurden in den Jahren an der Waldkapelle zwei Glocken, ein Turm, zwei Sitzbänke und ein Christbaumschmuck gestohlen.
In den vergangenen Jahren sind viele Mitglieder verstorben und der Verein wurde in eine Interessensgemeinschaft umgewandelt. “Wir waren einer der jüngsten Vereine mit den ältesten Mitgliedern in Eslarn”, begründete Hoffmann. Der Rückgang wurde vor allem in den Jahren beim Besuch der Kapellenfeste recht deutlich. Einen besonderen Dank richtete Hoffmann an den Heimatpfarrer Monsignore G. Hettler, der in den letzten Jahren den Gottesdienst an der Waldkapelle zelebrierte. “Die Fremde ist unsere Heimat geworden, doch die Heimat darf nie zur Fremde werden, deshalb vergesst die Heimat nicht”, gab Ehrenvorsitzender Josef Hoffmann allen auf dem Weg.







