Eslarns Zimmermann-Straße: Der Name des Peinigers auf dem Straßenschild
Eslarns Zimmermann-Straße: Der Name des Peinigers auf dem Straßenschild
Es ist der letzte Versuch des SPD-Ortsvereins Eslarn, für die Umbenennung der Georg-Zimmermann-Straße beim Bürgerbegehren am 24. November zu werben. Und klarzumachen: Es geht nicht darum, das Lebenswerk Georg Zimmermanns posthum zu vernichten. Sein Andenken auszulöschen. Die guten Seiten des Musikers zu ignorieren.
Das ist dem ehemaligen Domspatzen und heute erfolgreichen Musiker Manuel Druminski besonders wichtig. „Ich möchte Brücken bauen zwischen den Betroffenen und den Gegnern einer Umbenennung.“ Wie kann das gelingen? „Indem man einerseits versteht, wie sich das für die Opfer anfühlt, ohne deshalb gleich dessen musikalisches Vermächtnis aufzugeben.“
Aber genauso wenig kann man die Schattenseiten dieses getriebenen Mannes vergessen, der nicht Herr seiner sexuellen Triebhaftigkeit war. Am wenigsten vergessen können das die Opfer. Weil sie an diesem Trauma bis heute leiden, ist es zu viel verlangt, dass sie sich im eigenen Ort outen sollen.
Brief eines missbrauchten 13-Jährigen
Um ihnen dennoch eine Stimme zu verleihen, verliest Rechtsanwältin Ulrike Möstl den bei ihr hinterlegten Brief eines Betroffenen. Darin beschreibt der Verfasser, der als Kind „sehr gläubiger, katholischer und gutbürgerlicher Eltern“ dem Bischöflichen Knabenseminar in Weiden anvertraut wurde, das sexuelle Martyrium, das er als 13-Jähriger durch den Triebtäter Zimmermann noch nach dessen Entlassung aus der Haft erleiden musste.
„Die Aufdringlichkeit von Zimmermann nahm immer mehr zu. Streicheln, Berührungen, Küsse usw. Schließlich missbrauchte er mich schwer unter Gewaltanwendung. Es ekelte mich, mein Leben geriet durcheinander. Ich schämte mich. Meine schulischen Leistungen gaben nach. Der vorbestrafte Verbrecher machte weiter. Trotz seiner Haftstrafe machte er weiter!! Ich war 13 Jahre alt. 1973 verschwanden sowohl Direktor Hiebl als auch Georg Zimmermann über Nacht, ohne Abschied, ohne Erklärung.“
„Sie leiden und schämen sich“
„Ich weiß von Kameraden, die unter ganz ähnlichen Vorfällen mit Zimmermann leiden“, schreibt er weiter. „Sie leiden und schämen sich. In unserer kleinen ländlichen Welt schämt man sich, wenn man von einem Geistlichen missbraucht wurde. Man wird von der Gesellschaft geächtet, als Nestbeschmutzer verurteilt, die ganze Familie dazu.“
Erst als 60-jähriger Mann habe er sich überwunden und der Präventionsbeauftragten des Bistums anvertraut, „worunter ich jahrzehntelang gelitten hatte, was mein Leben bestimmt hatte“. Er appelliert an die Eslarner: „Bitte nehmen Sie diese Schilder ab! Bitte geben Sie damit den Opfern des Priesters Georg Zimmermann ihre Würde zurück.“
Mut zur Überwindung
Einer, der sehr genau weiß, wie es sich anfühlt, vor einem Straßenschild zu stehen, auf dem der Name des eigenen Peinigers verewigt ist, hat eine Anreise von 240 Kilometern in Kauf genommen, um den Opfern nicht nur eine Stimme, sondern auch ein Gesicht zu geben. Manuel Druminski ist alles andere als ein verbittertes Opfer. Der erste Sprecher des Betroffenenrates Regensburg hat sich sein Talent auch durch endlosen Missbrauch nicht zerstören lassen und ist heute Konzertmeister eines renommierten Orchesters.
Und mehr noch: Er hat den Mumm, sich im Eslarner Sportzentrum im gut gefüllten Nebenraum vor ein unbekanntes Publikum zu stellen und erstmals öffentlich von den unzähligen, brutalen Vergewaltigungen des Direktors der Pielenhofener Vorschule der Domspatzen zu sprechen. Das kostet Überwindung, was man dem zierlichen Mann ansieht. Das tut niemand, um sich in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn ihn am Ende des Abends seine Begleiterin in den Arm nimmt, merkt man ihm an, welche Last von ihm abfällt.
Gewalttätig, blutig und grausam
Druminski, chilenisches Adoptivkind deutscher Eltern, beschreibt den Missbrauch von Schuldirektor Johann Meier, der im vom Bistum beauftragten, unabhängigen Abschlussbericht von Rechtsanwalt Ulrich Weber auf über 300 Seiten dokumentiert ist (siehe Info-Kasten unten). Mit drastischen Worten. Weil die Taten drastisch, gewalttätig, blutig und grausam sind. Wer sie erlebt hat, dem steht es allemal zu, die Dinge beim Namen zu nennen.
Wir verzichten auf die grausamsten Details, um keinem Voyeurismus Vorschub zu leisten. Die verletzte Würde eines achtjährigen Kindes ist allemal höher einzustufen als die Verletzung einer geheuchelten Etikette. Weil die Adoptiveltern sein musikalisches Talent fördern wollen, bringen sie den achtjährigen Jungen im besten Glauben in die Pielenhofener Vorschule der Domspatzen. Er erinnert sich noch an die Fahrt zum Internat. Wie er heulte, als die Eltern gingen. „Bis dahin war es eine Vorzeigestimmung, als sie weg waren, war alles anders.“

Missbrauchs-Pfarrer: Eslarn benennt Georg-Zimmermann-Straße um
Eslarn. Der Namensgeber - ein Theologe, der wegen sexuellen Missbrauchs im Gefängnis saß. Die Marktgemeinde reagiert jetzt auf Initiative des Betroffenenbeirats der Diözese Regensburg und des Bischofs und wechselt die Straßenschilder aus.
Allein das Größenverhältnis
Aber was bedeutet eigentlich Missbrauch? „Können Sie sich vorstellen“, fragt er ins Publikum, „allein das Größenverhältnis.“ Manuel denkt: „Du musst das aushalten, diese Schmerzen, das, was der mit dir macht.“ Er ist paralysiert. „Du kannst gar nichts machen, nicht schreien. Die Masse von Herrn Meier, das musst du durchhalten, bis er fertig ist.“ Das ist die Realität.
Und dann ändert sich wieder etwas: „Danach war er so unglaublich lieb, wie ein Papa.“ Fürsorglich. Als Kind sei man da dankbar, wenn man den Kopf anlehnen kann. „Du kannst als kleines Kind nicht weglaufen – wahnsinnige Schwierigkeiten zu gehen.“ Das muss man sich klarmachen.
Immer, wenn Herr Meier Lust hat
Nicht einmal, nicht ab und zu. Immer, wenn Herr Meier dazu Lust hatte. „Er hat mir so oft wehgetan“, sagt Druminski. „Aber er war auch sehr lieb zu mir.“ Meier war Triebtäter. Es ist ein perfides System, das der Rektor errichtet hat: „Er hat gesagt, er hilft mir, dass ich besser singen, besser Musik machen kann.“ Wenn Schlafenszeit ist, beginnt die Angst. „Du gehst als Kind nicht mehr gerne ins Bett, denn du weißt, jetzt fängt der Horror erst an.“
Als er endlich seinem Vater andeutet, was er erleiden muss, kein Trost. Ganz im Gegenteil. Die Eltern wollen nichts davon hören. Lügengeschichten seien das. „Meine Mutter glaubt mir das heute noch nicht.“ Für sie sei der Herr Meier ein toller Mensch gewesen. „Vielleicht ist sie einfach nicht in der Lage, das zu ertragen.“ Und dennoch: Noch heute mag er es nicht, wenn Außenstehende über Meier schlecht sprechen. „Wenn ihn jemand kritisiert, dann ich, ich darf das.“ Und natürlich andere Opfer.
Schon so lange her?
Und in Eslarn? „Hier gibt es Menschen, die das mit Zimmermann erlebten.“ Es sei wie im Trickfilm, wenn die Jahreszeiten vorbeiziehen, aber in der Mitte eine Person zeitlos verharrt. „So ist das mit den Betroffenen.“ Er stehe da, alles andere ziehe vorüber. „Und dann heißt es: Das ist doch schon so lange her.“ Kann man die Vergangenheit nicht ruhen lassen? „Bei mir sind es in sieben Jahren 30 Jahre“, sagt er mit Blick auf die 1993 getaufte Straße. „Wenn ein Kind entführt wurde, würde man es nach 30 Jahren nicht mehr vermissen?“ Oder angefahren: „Wenn man 30 Jahre später im Rollstuhl sitzt, dann sieht man das.“ Manuel sieht man die Verletzungen nicht an.
Für die Betroffenen ist es nie vorbei. Da verschwimmen die Zeitebenen. Die schreckliche Gleichzeitigkeit des Erlebens. „Ich gehe ins Schwimmbad und sehe in der Umkleidekabine einen nackten Mann.“ Und er schaudert. „Ein unschuldiger Mann, der kann nichts dafür, der darf sich umziehen, aber ich denke daran.“ Für alle anderen, die Anwohner, sei das eine müßige, eine anstrengende Diskussion. Das Austauschen von Schildern. Das Ändern der Dokumente. Ja, muss das denn sein? Aus ihrer Sicht verständlich. Aus der Sicht des kleinen Jungen: unerträglich.
„Das hört nicht einfach so auf“
Es geht nicht um Zimmermann oder Meier, die längst verstorben sind. Sie kann man nicht mehr verletzen. „Es geht um die Betroffenen, die noch leben.“ Und die Opfer, die noch kommen werden. „Glauben Sie denn, das ist jetzt alles vorbei? Sex ist so eine Sucht, das hört nicht einfach so auf.“ Der eindringlichen Schilderung kann sich kaum jemand entziehen. Nur schade, dass offensichtlich niemand von den Gegnern einer Umbenennung gekommen ist. Und dann gibt es doch einen Zwischenruf: „Ich ging bei Zimmermann als 8-Jähriger zur Schule“, sagt Michael Frank.
„Er war ein strenger Lehrer, er hat mich mit dem Trommelstock geschlagen – aber er hat mich niemals sexuell belästigt.“ Ja, natürlich. Auch das gibt es. Aber auch ein Triebtäter sucht sich seine Opfer gezielt aus. Und überhaupt, möchte Frank wissen. „Sie sprechen immer von einem Meier, wo ist die Verbindung zu Zimmermann?“ SPD-Bundestagskandidat Gregor Forster kann den Widerspruch nicht verstehen: „Haben Sie keine Kinder?“, will er wissen. „Wenn ich an meine Kinder denke, kann ich mir alles andere vorstellen, als eine Straße nach Zimmermann zu benennen.“
Aus dem Zimmermann-Urteil
Was die beiden miteinander zu tun haben? SPD-Fraktionsvorsitzender Siegfried Wild verliest Zitate aus der Urteilsbegründung gegen Georg Zimmermann vom 21.02.1969. Ursprünglich wurde in 16 Fällen von der Polizei ermittelt, für das Urteil wurden fünf Fälle berücksichtigt.
- Opfer 1: Zimmermann „öffnete trotz heftiger Gegenwehr Hosenschlitz“, onanierte am Glied des Jungen, versuchte dem Jungen sein eigenes in die Hand zu drücken. „Den Widerstand des Jungen brach er durch seine körperliche Überlegenheit“.
- Opfer 2: Er zog Geschlechtsorgan des Jungen heraus und „onanierte bei sich und X bis zum Samenerguss“. In gleicher Weise verging er sich an X einige Wochen später zwei weitere Male.
- Opfer 3: Dieses konnte einen vergleichbaren Übergriff abwehren.
- Opfer 4: In Pkw im Wald „konnte nicht aussteigen, weil ihn der Angeklagte am Geschlechtsteil festhielt“.
- Opfer 5: Hat bei 3 Gelegenheiten das Glied des Jungen angefasst.
Friedensstraße mit Meisterschule?
Die Analogie zwischen Zimmermann und Meier: Beides pädophile Sexualstraftäter, juristisch dokumentiert, beide mit großem Engagement bei der kirchen-musikalischen Erziehung. Und beiden gemeinsam: das verursachte Leid der Opfer, das ein Leben lang nachwirkt. Nicht alle haben das Trauma annähernd so gut bewältigt, wie der preisgekrönte Geiger und Konzertmeister. Nicht alle besitzen die Souveränität, auch im Täter das Opfer, im Sadisten, die andere Seite, die Begabung, die Lebensleistung zu sehen.
„Man kann das Lebenswerk Zimmermanns auch dadurch in Ehren halten, dass man sein musikalisches Erbe fortführt, eine Meisterschule hier einrichtet“, schlägt Druminski vor. Ein Brückenschlag, den Anwältin Ulrike Möstl gerne aufgreift: „Das wäre der Königsweg.“ Und wenn die Umbenennung durchgehe, herrsche endlich wieder Frieden in Eslarn. „Dann nennen wir sie doch Friedensstraße.“ Nur ein Vorschlag, über den man sprechen könne.
Eslarn im Fokus der deutschen Medien
In seinem Schlusswort bedankt sich der ehemalige Landtagsabgeordnete Fritz Möstl für die Offenheit des Gastes: „Ich hoffe nur, dass es Ihnen persönlich auch etwas hilft, um solche Dinge zu bewältigen.“ Er selbst habe Zimmermann noch gekannt – seine guten Seiten und seine schlechten. Aber er komme auch viel rum. „Ich stelle fest, dass Eslarn seit Wochen im Fokus der Medien von Hamburg bis Berchtesgaden ist.“ Er werde überall auf die Straßenumbenennung angesprochen. „Wenn das negativ ausgeht, bekommt Eslarn keine Ruhe.“
Einer, der 1993 bei der Straßentaufe selbst dabei war, ist SPD-Ortsvereinsvorsitzender Georg Zierer: „Damals hat man den Mann in den Himmel gehoben“, schildert er die Euphorie über Zimmermanns musikalisches Schaffen. „Es hat sich im Nachhinein herausgestellt, es ist viel mehr passiert, was der Mann gemacht hat, weshalb ich den Fehler gerne revidiert haben möchte.“ Und Bürgermeister Reiner Gäbl? Der hat sich bewusst aus der Diskussion herausgehalten: „Ich habe ein Schreiben bekommen, dass ich mich neutral verhalten soll“, sagt er. „Das Landratsamt hat mir zwar bestätigt, dass ich natürlich dazu Stellung nehmen darf, aber besser nicht als Versammlungsleiter.“
Abschlussbericht zu Missbrauch bei den Domspatzen
Auszüge aus dem vom Bistum beauftragten, unabhängigen Abschlussbericht von Rechtsanwalt Ulrich Weber und Johannes Baumeister zum Direktor der Pielenhofener Vorschule der Domspatzen. Johann Meier (in der Folge abgekürzt mit M.): „Vorfälle von Gewaltausübung an Schutzbefohlenen bei den Regensburger Domspatzen – Untersuchungsbericht vom 18. Juli 2017.“
„Im Rahmen der Opferberichte stellt Direktor M. die am häufigsten beschuldigte Person dar. Über ein Drittel aller Aussagen zu Vorfällen von körperlicher Gewalt oder zu Beschuldigten in der Vorschule beziehen sich auf die Person M. Insgesamt 289 Opfer äußern sich konkret zu körperlicher Gewaltanwendung durch M.
Die Anlässe für Gewalt waren vielfältig. Zu nahezu jeder Tages- oder Nachtzeit bestand für die Schüler die Gefahr einer Bestrafung. […] Auffällig sind die unterschiedlichen Auslöser für die Vorfälle. Teilweise entstand Gewalt völlig rational und emotionslos auf Basis des Erziehungsstils. […} Neben der körperlichen Gewalt war bei Direktor M. die Anwendung psychischer Gewalt ein wesentlicher Bestandteil seines Erziehungsstils. Durchgängig präsent über die Jahre hinweg war die vorherrschende Angst vor der Person des Direktors.
Über die oben dargestellten Formen der Gewalt hinaus wurde M. auch vielfach sexuell übergriffig. Vorfälle, bei denen M. im Rahmen körperlicher Gewalt eine gewisse sexuelle Motivation in Form von Sadismus unterstellt wurde, flossen dabei nicht in die Bewertung ein. Alle im Folgenden beschriebenen Vorfälle sind als damals wie heute strafbare sexuelle Handlungen einzuordnen.
Insgesamt wurden 25 Fälle sexueller Gewaltanwendung durch Direktor M. berichtet. Die Plausibilitätsprüfung ergab dabei elf Fälle mit hoher Plausibilität. […] Der Rahmen für die sexuelle Gewalt war unterschiedlich. Vielfach wird berichtet, dass einzelne Schüler nach dem Duschen in seine Wohnung zitiert wurden. Vorfälle fanden jedoch auch nachts, nach der Messe oder zu anderen Tageszeiten statt. Die Örtlichkeit war meist die Wohnung des Direktors, teilweise wurde er jedoch auch im Schlafraum oder sogar in der Sakristei übergriffig. In vielen Berichten ist die Rede davon, dass M. den Opfern Wein verabreichte. M. wandte dabei selten sofort sexuelle Gewalt an, sondern prüfte zunächst, wie die Schüler auf seine Handlungen reagierten.
Die Arten der sexuellen Gewalt sind ebenso vielfältig und reichen von Untersuchungen des Intimbereichs bis zur analen Vergewaltigung. Manche Opfer wurden nur einmal missbraucht, andere mussten vielfach schwerste sexuelle Gewalt durch M. erfahren. Hinsichtlich einer zeitlichen Einordnung ist auffällig, dass sich die Fälle über nahezu die gesamte Tätigkeitszeit des Direktors in Etterzhausen und Pielenhofen erstreckt.




