ver.di Oberpfalz verteidigt Acht-Stunden-Tag in Weiden

ver.di Oberpfalz verteidigt Acht-Stunden-Tag in Weiden
Mach dich stark für den Acht-Stunden-Tag – mit den Bundestagsabgeordneten Dr. Carolin Wagner und Sebastian Roloff im Gespräch
„Die angekündigte Aufweichung der täglichen Höchstarbeitszeit durch die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit unter der Überschrift ‚Mehr Flexibilität für die Beschäftigten‘ verkaufen zu wollen, ist ein schlechter Witz!“, bringt es Alexander Gröbner (Geschäftsführer ver.di Bezirk Oberpfalz) auf den Punkt.
Dieses Vorhaben setze stattdessen viele Menschen massiv unter Druck, länger arbeiten zu müssen. „Das ist Gift für die Gesundheit. Schon jetzt leiden in vielen Branchen – etwa in der Logistik, in der Pflege oder im Handel – viele Menschen unter zu hoher Belastung. Das Gebot der Stunde ist daher: nicht mehr Belastung, sondern mehr Entlastung für die Beschäftigten“, so Gröbner weiter. Dies werde insbesondere in der aktuellen Vorweihnachtszeit überdeutlich.
Jens Gotthardt (Gewerkschaftssekretär ver.di Oberpfalz) und Alexander Gröbner tauschten sich zum Schwerpunktthema mit den Bundestagsabgeordneten der SPD Dr. Carolin Wagner sowie SPD-Co-Landeschef Sebastian Roloff und MdL Nicole Bäumler aus und warben dabei für die Beibehaltung der täglichen Höchstarbeitszeitgrenze von acht Stunden.
Hintergrund und öffentliche Debatte
„8-Stunden-Arbeitstag soll weg: Mehrheit der Deutschen ist für diese Regelung“, war eine Agentur-Meldung Mitte Mai überschrieben. Die Umfrage von YouGov oder vielmehr die Agentur-Meldung mit dieser Überschrift machte schnell die Runde. Solche Sätze bleiben hängen, nicht wahr? Doch die Zahlen aus der Umfrage lassen auch andere Schlüsse zu: Denn nur 38 Prozent der Befragten stimmten dem Vorhaben zu, 37 Prozent verhielten sich neutral, und 20 Prozent lehnten ab. Sind 38 von einhundert neuerdings eine Mehrheit? Vier von fünf Befürworter*innen gaben zudem an, sie würden lieber zehn Stunden am Tag bei einer Vier-Tage-Woche arbeiten als acht Stunden täglich bei einer Fünf-Tage-Woche. Diesen Leuten hätte man sagen können und vielleicht sogar müssen, dass die aktuelle Rechtslage das bereits zulässt. Auch wenn von dieser Verteilung aus guten Gründen abzuraten ist.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlichte Mitte Juni 2025 übrigens ganz andere Zahlen: 73 Prozent der Beschäftigten sprechen sich gegen eine unbegrenzte tägliche Arbeitszeit aus (das klingt nach Mehrheit, oder?), und 84 Prozent stimmen der Aussage zu, dass eine klare Begrenzung vor Überarbeitung schützt.
Historie und Forschung zum Acht-Stunden-Tag
Es lebe der Achtstundentag! Der Acht-Stunden-Tag ist das Ergebnis historischer Kämpfe der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung! Zur Erinnerung: „Die Arbeitgeberverbände wollten nach der Novemberrevolution von 1918 verhindern, dass Fabriken in staatliches Eigentum übergingen. Daher erkannten sie die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeiter im Stinnes-Legien-Abkommen an, das nach den beiden Verhandlungsführern benannt ist. Zugleich stimmten sie der Verkürzung der Arbeitszeit auf acht Stunden bei vollem Lohnausgleich zu. So wurde der Achtstundentag in Deutschland 1918 zunächst für Arbeiter und 1919 auch für Angestellte eingeführt. Auch viele Unternehmen profitierten davon, da durch verkürzte Arbeitszeiten oftmals die Produktivität stieg.“ (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 100 Jahre Achtstundentag in Deutschland, 2018) Auch der Internationale Tag der Arbeit ist direkt und untrennbar mit der alten Gewerkschaftsforderung nach dem Acht-Stunden-Tag verbunden (Geschichte des 1. Mai: Ursprung und Bedeutung | DGB).
Doch der Acht-Stunden-Tag ist nicht nur historisch gewachsen, sondern auch das Ergebnis jahrzehntelanger arbeitsmedizinischer Forschung. Sehr lange Arbeitszeiten schaden der Gesundheit, da ist sich die Arbeitsforschung einig: „Heute wissen wir, dass sich das Risiko für Unfälle ab der neunten Stunde nach Arbeitsbeginn erhöht – bis hin zu einer Risikoverdopplung nach zwölf Stunden“, schreibt etwa die Berufsgenossenschaft RCI.
Produktivität, Gleichstellung und Demokratie
Da erstaunen auch „Gedankenexperimente“ wie das von Dr. Moritz Schularick (Direktor des Instituts für Weltwirtschaft Kiel) bei Caren Miosga am 25. Mai 2025: „Was wäre, wenn wir alle 30 Prozent mehr arbeiten würden und diese Arbeitsstunden etwa so produktiv wären wie die, die wir im Mittel haben? Dann wäre unsere Volkswirtschaft 30 Prozent größer.“ Das einzig Gute an diesem Experiment ist eher, dass es zeigt, worum es in der Diskussion um die wöchentliche Höchstarbeitszeit auch und noch mehr geht: die Verlängerung der Arbeitszeit. Dabei werden wesentliche Erkenntnisse aus der Forschung ignoriert: Zahlreiche Studien belegen, dass die Produktivität mit der Dauer der Arbeitszeit eher abnimmt. Oder auf den Punkt gebracht: Man wird irgendwann k. o.
Die Zielstellung bei der Wochenarbeitszeit-Debatte ist nicht Flexibilisierung und Zeitsouveränität für Beschäftigte, sondern längere Arbeitszeiten, mehr Entscheidungsgewalt für Arbeitgeber und Konkurrenzdruck. Kürzere Arbeitszeiten bewirken eine höhere Produktivität, weil Leistungsfähigkeit und Konzentration höher sind und weniger Fehler gemacht werden. In Ländern mit höherer Produktivität besteht wiederum mehr Spielraum für kürzere Arbeitszeiten.
Lange Arbeitszeiten schaden auch der Gleichstellung und sind geeignet, die Demokratie weiter zu schwächen, heißt es in einer aktuellen Veröffentlichung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI). Geschlechterungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt würden sich verschärfen. Denn während Frauen, insbesondere Mütter jüngerer Kinder, häufig ohnehin keinen Spielraum für längere Erwerbsarbeitszeiten haben, weil sie den Löwenanteil der Sorgearbeit schultern müssen, hätten Männer mit steuerlich geförderten Überstunden noch weniger Zeit für die Familie. Die Pläne im Koalitionsvertrag belasten Partnerschaften und Familien. Sie erschweren eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit. Umfragen des WSI belegen, dass viele Beschäftigte bereits heute zu wenig Zeit für politisches oder gesellschaftliches Engagement haben. Nur ein gutes Drittel der Erwerbstätigen ist im gewünschten Maß aktiv, unter erwerbstätigen Müttern sogar lediglich 20 Prozent. Eine funktionierende Demokratie brauche aber Demokratinnen und Demokraten, die Zeit für politische und zivilgesellschaftliche Beteiligung aufbringen.




