Genussradeln durch Herdas Welterbe (1): Meine Regensburger Highlights
Genussradeln durch Herdas Welterbe (1): Meine Regensburger Highlights
Der radelnde Autor, geboren in der Hedwigsklinik – die blauen Schwestern von der heiligen Elisabeth, ursprünglich in Haidhausen gegründet, verlagerten 1909 ihren Arbeitsschwerpunkt nach Regensburg, 1928 zogen sie in das ehemalige Garnisonslazarett an der Greflingerstraße 4 mit einer Abteilung für kranke Kinder – aufgewachsen in der Ganghofer-Siedlung und sozialisiert zwischen Stadiontribüne und Theke, nimmt euch mit durch seine Stadt.
Eine Radtour, ein Rückblick, ein Minnesang an die Donaustadt: Ein Regensburger Leben auf zwei Rädern. Eine biografisch gefärbte Welterbe-Stadtführung mit dem Barkeeper, Boxer und Handballer, Politik- und Kunststudenten, Fabrikarbeiter und Journalisten – vom Startpunkt zahlloser Radtouren in die Hohe Tatra, nach Straßburg, Aix en Provence, Budapest, Kopenhagen, Tarifa, Rom oder Wien.
Neues Tor zur alten Stadt: Museum der Bayerischen Geschichte
Start ist am Donaumarkt, wo das Museum der Bayerischen Geschichte heute in postmoderner Würde glänzt. Früher ein wilder Parkplatz mit Donauföhn, an den Wochenenden mit großem Bauernmarkt. Der einstige Oberbürgermeister Friedrich Viehbacher ist mit seinen Stadthallen-Plänen an empörten Altstadtfreunden gescheitert. Heute steht hier ein Monument, das Ministerpräsident Markus Söder einmal als „wuchtig, etwas aufreibend, aber dem Thema angemessen“ beschrieben hat. Kritiker denunzierten den Entwurf schon mal als „Steinhaufen“ und „Monster“.
Architekt Stefan Traxler hat sich dagegen verwehrt: „Wenn man um das Haus herum geht, dann sieht man, dass die Höhen sich am Bestand – dem historischen Hunnenplatz und der Gasse ,Unter den Schwibbögen‘ – orientieren.“ Den ehemaligen öffentlichen Raum erlebe man freilich nur, wenn man ins Gebäude reingehe. Viele Regensburger favorisierten den zweitplatzierten Vorschlag, der an das Guggenheim-Museum in Bilbao erinnerte.„Unser Entwurf“, sagt Traxler, „ist analytischer: Was hat die Geschichte hinterlassen? Was braucht das Museum? Das Dach ist dort am höchsten, wo der Teppich aus dem Landtag aufgehängt wird.“ Funktion und Städtebau spielten zusammen.
Ludwig I., der größte König Bayerns?
Entscheidend sei die Frage, wie das Gebäude von den Menschen angenommen werde, meinte der Architekt. „Da kann ich nur schauen, was die Zeit bringt.“ Sechs Jahre später kann man konstatieren. Regensburg und seine Gäste haben sich mit Traxlers „keramischer Fassade“ angefreundet. „Wir haben uns die Farben der alten römischen Mauer des Castra Regina angeschaut.“ Schauen Sie selbst, ob Sie der vielschichtige Museumskomplex an das alte Rom erinnert!
Vor allem, und da hat Traxler völlig recht, wenn man die opulente, lichtdurchflutete Ruhmeshalle Bayerns, das moderne Gegenstück zur Walhalla, mit seinen Blickscharten auf Stadt und Donau betritt. Etwa, um die aktuelle Landesausstellung zu besichtigen. In sieben Abteilungen wird der widersprüchliche Charakter von Ludwig I. und seiner Regierungszeit zwischen 1825 und 1848 durchleuchtet – vom moderaten Aufklärer zum verschwenderischen Despoten. Am Ende des Rundgangs dürfen die Besucher abstimmen: War er der größte König Bayerns?
Spielerischer Umgang mit der Geschichte
Charmant ist auch der spielerische Umgang des Hauses mit der bayerischen Geschichte. Im „Kinosaal“ des Foyers führt Satiriker Christoph Süß auf einem ungewöhnlichen 360-Grad-Panorama-Rundblick durch die 2000 Jahre Regensburger Geschichte, die im Museum selbst nur gestreift werden – der BR-Moderator in diversen Rollen vom Römer bis Napoleon Bonaparte, dem Initiator des Königreichs Bayern.
Dr. Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, Erfinder der Publikumsmagneten „Landesausstellung“, aber auch volksnaher Metzgersbub aus Hengersberg, steht für einen Bildungsauftrag mit Spaßfaktor: Der damalige Grünen-Abgeordnete Sepp Dürr, der das Museum ablehnte, räumte ein: „Wenn’s der Loibl macht, dann wird es wenigstens einen Unterhaltungswert haben.“
Steinerne Brücke & Altstadt: Schutz, Trutz und Stadtgeflüster
Über die Steinerne Brücke, auf deren sanierter Brüstung eine Replik des Bruckmandls den Baufortschritt des Doms beobachtet – nur der Legende nach ein Wettbewerb, der zum Freitod des Dombaumeisters führte – hinein ins Herz der Altstadt. Links fließt die Donau, rechts rollt die Erinnerung. Über dem Rathausportal thronen zwei steinerne Wächter: Schutz und Trutz – jahrzehntelang meine Kolumnenpaten für die Rundschau, wenn ich mich satirisch über städtische Verwerfungen mokierte – das Monstrum im Herzen der Altstadt, Generationen als Schocken, wie ihn meine Oma nannte, Merkur, Horten oder zuletzt Galerie Kaufhof geläufig.
Die Glosse hätte damals fast zur Stornierung eines lukrativen Werbeauftrags geführt. Bodo Bauer, leider zu früh verstorbener Anzeigenleiter, gab den erbosten Kaufhof-Chef am Hörer einfach an mich weiter. „Nimm du …“ Ein wenig konnte ich die Wogen glätten, nachdem ich ihn ausbrüllen gelassen hatte. Ein bisschen Spaß muss sein. Das Kaufhaussterben konnte das auch nicht aufhalten. Heute steht das Monstrum leer – an der Fassade erinnern historische Fotos an 100 Jahre Stadtgeschichte.
Vom Schandfleck übers Orphée ins Jenseits
Das verlassene Kaufhaus ist nicht die einzige Bausünde am Neupfarrplatz. Jahrhunderte zuvor trug der bekannteste Regensburger Künstler und Ratsherr, Albrecht Altdorfer, selbst ernannter Konkurrent des aufklärerischen Jahrhundert-Genies Albrecht Dürer, zu einem Juden-Pogrom und zum Abriss des Judenviertels samt Synagoge im Jahr 1519 bei – Zeichnungen aus seiner Hand dokumentieren das zerstörte Gotteshaus, dessen Grundriss Dani Caravans Monument neben der als Wallfahrtskirche geplanten Neupfarrkirche zeigt.
Wenige Gassen weiter werde ich für einige Augenblicke wieder Zaungast meines eigenen Entwicklungsromans. Im Restaurant Orphée in der Unteren Bachgasse 8, das originalste französische Bistro östlich des Rheins mit seinen roten Samtsesseln und Marmortischen im Bistro-Bereich, erst mein Wohnzimmer, dann mein Arbeitsplatz hinter der Theke in Studienzeiten – genauso wie in der Studentenkneipe Jenseits in der Glockengasse, das inzwischen genauso den Gang alles endlichen beschritt wie die René Benkos Kaufhaus-Ruine, und für dessen 25-Jahre-Sause ich Karikaturen ins Schaufenster hängte: „Ewig währt am längsten“ stand da leider historisch nicht ganz korrekt.
Domplatz & Dackelmuseum: Welterbe trifft Wackelschwanz
Gleich hinter dem Dom, neben dem Kölner Dom eine der bedeutendsten gotischen Kathedralen Deutschlands, Richtung Steinerne Brücke sitzt Seppi Küblbeck vor seinem Dackelmuseum in der Weißen Hahnengasse, während sein Ehemann Oliver Storz hinter der Theke rumwurstelt und „eigentlich gar nicht da“ ist. Weil Passau zu klein dachte und den beiden Erfindern des einzigartigen Dachshund-Tempels einen Freisitz verwehrte, lockt das Paar jetzt eben zusätzliche Besucherscharen in die ohnehin überlaufene Welterbe-Stadt. Eine Besuchergruppe aus den USA unterbricht kurz das Gespräch zwischen Tür und Angel: „You’re welcome“, begrüßt sie Seppi.
Seppi, amüsanter Plauderer am Eingang zur Hundepforte, erzählt von Gästen aus 143 Ländern, darunter aus Japan, Idaho und Pfreimd, welche die 5000 Exponate bestaunen – und manchmal auch die echten Dackel. Auf einige Posts in den Dackel-eigenen Social-Media-Kanälen verzeichnen die Museumsgründer bis zu 1,2 Millionen-Zugriffe. Die internationale Presse von Agence France Press (AFP) über ARTE bis Reuters berichtet über die Dackel-Könige und ihr Wunder auf vier krummen Beinen. Stolz ist der Seppi über das Urteil eines alten Eingeborenen: „Wissen Sie, dass Sie in kürzester Zeit einen der bekanntesten Regensburger geworden sind?“
Stadtamhof & Wöhrdinsel: Die romantische Schwester
Rüber nach Stadtamhof, einst feindliches Bayern, heute Bilderbuch-Kulisse für Einheimische und Touristen, mit Panoramablick auf die Stadtsilhouette. Auf der kleinen Insel kann man die Rokokokirche und Klosteranlage St. Mang und die Spitalkirche St. Katharina entdecken. Im einstigen Salzlager Andreasstadel laden heute Künstlerateliers, Galerien, ein Café und ein Kino zum Besuch. Eine Gedenktafel am Gasthaus „Colosseum“ erinnert an das Schicksal der Häftlinge des KZ-Außenlagers Regensburg im Zweiten Weltkrieg.
Wer das Café Espressione meidet, kann in den Inselpark Wöhrd abbiegen, wo Familien grillen, sich übermütige Jugendliche von der Brüstung des Stegs kühn in einen Seitenarm der Donau stürzen, und alte Regensburger auf Parkbänken Geschichten inhalieren. Nicht zu vergessen die Dépendance des Hotels Orphée im Andreasstadel – von den Machern Neli Färber und Michael Leib im unverwechselbaren Bohème-Stil eingerichtet.
Goethe und der Turnvater Jahn: Stadion der Erinnerungen
Auf keinen Fall versäumen sollte man die Schleichwege durch die historische Westnerwacht hinterm Arnulfsplatz mit seinen gotischen Giebelhäusern, vorbei an der Studentenkneipe Schwedenkugel (heute Lokanta, Haaggasse 15) zur idyllischsten Wohnlage der Stadt mit seinen Jugendstil-Villen in der Prebrunnallee neben dem Herzogspark, dem Naturkundemuseum, weiter zur Ostdeutschen-Galerie am Eingang zum Stadtpark, den wir durchqueren und auf der anderen Seite zur Prüfeningerstraße mit dem bemerkenswerten japanischen Restaurant Hiroko (japanisch für großmütiges Kind) durchstoßen.
Den Radweg entlang zur Prüfeningerstraße, wo es in meinem Goethe-Gymnasium nach Schulschweiß und im altehrwürdigen Jahn-Stadion mit seiner Fachwerk-Gaststätte und hölzerner Tribüne nach Fußball, Bratwurst und Bier roch. Dorthin ließ ich mich gerne von meinem Opa noch vor der ersten Schultüte zu jedem Heimspiel schleppen. Auf dem Mäuerchen der Vortribüne, die Beine baumelten durch das Gitter, lernte ich nicht nur, was Abseits ist, sondern auch, wie man eine traumatische 0:1-Niederlage gegen Homburg verarbeitet, die zu meinem ersten Abstieg aus der zweiten Bundesliga führte – und trotzdem mit Würde aus dem Block schreitet.
Brüche: Universität samt Lehr- und Wanderjahren
Vom alten Jahnstadion in der Prüfeningerstraße radelte ich schon damals über Königswiesen zurück in unsere Ganghofersiedlung. Vorbei an der Hubertus-Höhe mit Kastanien-Biergarten und altem Theatersaal, in dem ich bei der Wirtsfamilie Decker meinen 30. Geburtstag mit Regensburgs Bohème feierte – darunter Orphée-Granden, Polit-Dozenten und das Gefühl, dass in dieser Stadt alles zusammenläuft: Kiez und Kunst, Schweinebraten und Sekt, Fußball und Philosophie.
Von der Paul-Heyse-Straße 1, erste mir bekannte Wohnadresse – und später nach dem Tod der Großeltern Studentenbude für die dreifache Miete, der Münchener Wohnbaugesellschaft sei’s gedankt – weiter Richtung Uni, der sonntägliche Spazierweg mit Pudelmischling Charly und meiner Oma. Zwischen Hörsaal und dem Lehrstuhl von Prof. Mathias Schmitz, den seine Gattin belustigt von meinen Karikaturen des späteren Doktorvaters davon überzeugte, dass ich der richtige Kandidat für eine Hiwi-Stelle am Lehrstuhl für Politikwissenschaft wäre.
Europa dahoam in der Alten Reichsstadt
Im Alten Rathaus schlug über Jahrhunderte das Herz der Freien Reichsstadt Regensburg. Hier arbeiteten der Stadtrat und die Verwaltung. Von 1663 bis 1806 tagte hier der Immerwährende Reichstag. Er brachte damals die große deutsche und europäische Politik und ihre Vertreter nach Regensburg. Als Ausstellungsorganisator für die Europa-Kolloquien des Lehrstuhls für Politikwissenschaft war ich Zeitzeuge der Rückkehr der großen Politik in das Altes Rathaus: darunter Zbigniew Kazimierz Brzeziński, von 1977 bis 1981 Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, Jiří Dienstbier, von Dezember 1989 bis zum Juli 1992 der erste Außenminister der Tschechoslowakei nach dem Sturz der kommunistischen Regierung oder Giuliano Amato von 1992 bis 1993 sowie von 2000 bis 2001 italienischer Ministerpräsident.
Außerdem machte ich die Bekanntschaft des damaligen MZ-Altverlegers Karl-Heinz Esser. Der zeigte sich angetan von der Ausstellung, nahm meine Magisterarbeit zur Lektüre mit in die Sommerfrische an die Nordsee – und verschied. Hoffentlich nicht aus Langeweile. Der bereits druckreife Vertrag mit der Mittelbayerischen war freilich Makulatur. Es folgten drei Jahre in Prag, meine journalistischen Lehr- und Wanderjahre bei der Prager Zeitung, parallel zum DFG-Graduiertenkolleg an der Uni und Lehrveranstaltungen zu den mittelosteuropäischen Transformationsstaaten, die ich im Nachtzug vorbereitete. Als ich zurückkam, war Regensburg verändert – oder ich war es. Wahrscheinlich beides.
Wohnen neben Bordell und überm Schlachthof
Vor meiner Rückkehr in die heimische Paul-Heyse-Straße absolvierte ich in Studentenzeiten weniger erfreuliche Stationen in der Weißenburgerstraße, direkt neben einem ehemaligen Bordell, das Palais d’Amour, wo nachts nur die Neonlichter blinkten und tagsüber die Lkws an der Ampel nach der Nibelungenbrücke so quietschend abbremsten, dass der Couchtisch vibrierte. Urbanes Wohnen mit Autobahnanschluss – Avantgarde avant la lettre.
Dann der Umzug in die Wirtswohnung am Schlachthof, wo nächtens die Kälber schrien, wenn sie verladen wurden – und die Metzger um fünf Uhr früh Schweinebraten zum Frühstück verspeisten. Das Leben war rau, aber herzlich. Der Vollständigkeit halber: Es folgten noch eine schöne Gründerzeitwohnung in der Reichsstraße 5 mit Anschluss an das Ostentor-Kino des Programmkino-Gründers Wolfgang Hofbauer – inzwischen hat Sohn Achim übernommen – und eine Altstadt-Wohnung in der Oberen Bachgasse mit Schlaflosigkeitsgarantie gegenüber der Disko Zarap Zap Zap.
Fabrikstationen & Studentenjobs: Zucker, Schweiß, Bleimund
Die erste Regensburger Zuckerfabrik begründete 1837 die Produktion des süßen Suchtstoffs mit der Gesellschaft für Zuckerfabrication. 2007 endet diese Institution: Die Ferdinand Schmack jun. GmbH kaufte das Grundstück und entwickelte das Candis-Quartier. Die Rübenkampagne in der Zuckerfabrik war von Mitte September bis Ende Dezember in der ganzen Stadt zu riechen.
Einer meiner vielen Ferienjobs in dieser Zeit: Mit der Spitzhacke nass gewordenen Zucker im Silo wie im Steinbruch zu schlagen. Oder Sakkos in der damaligen Kleiderfabrik Bleimund im Regensburger Westen umhängen – vermittelt durch den Fast-Schwiegervater Konrad Fisch.
Herda Welterbe-Radtour
Route:
Donaumarkt – Steinerne Brücke – Rathaus – Altstadt – Domplatz – Stadtamhof – Prüfeningerstraße (altes Jahn-Stadion) – Universität – Schlachthofstraße – Weißenburgerstraße – Nibelungenkreuzung – Zuckerfabrik – Bleimund – Jenseits – Orphée – Altes Rathaus – Hubertus-Höhe
Stationen mit persönlichem Bezug:
– Hedwigsklinik (Geburt)
– Ganghofer-Siedlung (Kindheit)
– Königswiesen, Guerickestraße (Jugend)
– Hagelstadt (Abi)
– Schlachthofstraße, Uni, Nibelungenstraße (Studentenjahre)
– Dackelmuseum, Orphée, Jenseits, Rathaus (Arbeit, Kunst, Kneipe)
– Prag (journalistisches Exil)
– Hubertus-Höhe (Rückkehrpunkt & Lebensresümee)
Empfohlene Stopps:
– Museum der Bayerischen Geschichte
– Dackelmuseum
– Café Orphée
– Spitalgarten
– Hubertushöhe (Schlussbrotzeit mit Blick & Biss)Für wen?
Für Regensburger:innen mit Herz, für Zugezogene mit Neugier, für alle, die wissen wollen, wo die Stadt wirklich pulsiert – zwischen Denkmal und Dackel, Schweinebraten und Spinoza.



























































































































