Genussradeln für Wetterfeste (8): Goldener Herbst am Bayerisch-Böhmischen Freundschaftsweg
Genussradeln für Wetterfeste (8): Goldener Herbst am Bayerisch-Böhmischen Freundschaftsweg
Wo einst Hämmer klangen, Zöllner schwiegen und Schmuggler fluchten, rollen heute Radler durch Wald und Weite, durch Dörfer mit Geschichten statt Attraktionen. Der Bayerisch-Böhmische Freundschaftsweg ist weniger Radweg im touristischen Sinn als ein Geschichtspfad auf zwei Rädern: Er verbindet Granit mit Gulasch, Barock mit Bier, und Menschen, die gelernt haben, dass Grenzen zwar trennen können – aber Pedale sie wieder zusammenfügen.
Der böhmische Wind hat Humor. Er kommt als kalter Kumpel von hinten, pfeift durch die Speichen, und ehe du „Mimosen“ sagen kannst, trägt er dir die Mütze in Richtung Grenzstein.
Ich bin mit dem Radl aufs Bergl g’fahr‘n, hat mir’ der böhmische Wind mein Radl verwaht, böhmischer Wind, ich bitt’ dich recht schön, lass mir mein Radl am Bergl steh‘n, lass mir mein Radl am Bergl steh‘n.
Frei nach einem Böhmischen Volkslied
Melodie in Fichtenduft
Und schon weht’s die Melodie in Fichtenduft und Nebelränder. Vor uns: Rund 70 Kilometer Freundschaftsweg, ein Band aus Bahntrasse und Nebenstraßen, aus Schwarzach-Geflüster und Grenzgeschichten; hinter uns die Ausreden. Wir radeln bergauf, bergab durch leise Landstriche, als hätte jemand das 19. Jahrhundert nur kurz auf Pause gedrückt: Burgruinen vor Wolkentürmen, Hochlandrinder als neugierige Streckengucker, die Schwarzach als treuer Begleiter. Fitnessstudio? Brauchen wir nicht – wir haben Gegenwind.
Das ist eine Strecke für Wetterfeste und Bohemiens, für Leute, die Pfützen nicht meiden, sondern ihnen Vornamen geben. Links Torf, rechts Granit, darüber Krähen in Keilschrift. Jeder Ort erzählt eine Fußnote Europas, von Hussiten und Hämmern, von Klöppelspitzen und Zollhäusern. Und irgendwo am Wegrand ein Labyrinth aus Feldsteinen, das uns beibringt, dass Umwege manchmal die geraderen Wege sind. Los jetzt – Nabburg ruft.
Nabburg: Mauerkrone, Marktrecht, Storchennest
Nabburg ist Start und Statement: eine Altstadt auf Kamm und Kante, von Mauern gegürtelt, von Toren bewacht – Mähntor im Süden, Obertor im Norden. Hier war im 11. Jahrhundert Mittelpunkt der Mark Nabburg, hier verliehen Wittelsbacher und Kaiser Rechte, hier hielten sich Privilegien und Pflichten die Waage. Die Instituta Civilia von 1405 flüstern bis heute aus dem Zehentstadl, und wenn der Wind richtig steht, hört man das Eisen des alten Hammers an der Naab noch klopfen. Hussiten brandschatzten, Bürger bauten, Geschichte stapelte sich auf Geschichte – und blieb erstaunlich gut erhalten.
Wir rollen hinein wie in ein aufgeschlagenes Kapitelbuch: Das (alte) Rathaus thront am Platz, St. Johannes Baptist hebt seine gotischen Rippen, die Stadtmauer trägt Patina und Stolz. Drüben, am Rand der Zeiten, sitzt der Pulverturm wie ein zusammengebissener Zahn. Ein paar Schritte weiter: der Teufelsschuh am Obertor (wer ihn nicht findet, bekommt eine zweite Runde Stadtbummel). Über all dem kreist, saisonal zuverlässig, das Storchenpaar von St. Georg – Nabburg kann sogar seine Wetterberichte bebildern.
Zwischen Mauer und Museumsflüstern
Im Stadtmuseum im Zehentstadl stapfen wir durch Oberpfälzer Tierwelt und Aktenzauber, am Schmidt-Haus, dem ehemaligen Söldnerhaus oder Leonardihaus, prangen die Sgraffitomalereien von Karl Schmidt, am Storchenbiotop östlich der Autobahn schimmern die Wiesen wie nasse Seide. Wer den Blick hebt, sieht am Nordrand das Pflegschloss (heute Vermessungsamt) – Verwaltungsromantik in Naturstein. Und unten an der Naab beginnt schon der leise Takt der Route: Der Radweg zieht wie ein Faden, der die Kapitel verknüpft.
Kleiner Abstecher zum Oberpfälzer Freilandmuseum Neusath-Perschen: Rauchküchen, Giebel, Gerätschaften – ein Tag Zeitreise im Takt der Sense. In Perschen selbst blinzelt der Karner (Beinhaus) aus dem Grün. Wer jetzt noch nicht weich geworden ist für diesen Landstrich, den überzeugt spätestens der erste Bäckereiduft am Marktplatz. Das einzige Rätsel, das auf der ersten Station ungeklärt bleibt: Wer Nabburgs Türme und Zinnen schon aus der Ferne trutzig auf seinem Hügel erspäht, fragt sich – warum überlaufen dieses Kulturidyll nicht längst so viele Besucher wie das UNESCO-Welterbe Český Krumlov, das mehr Kneipen als Einwohner zählt?
Nabburg kompakt
- Must-sees: Historische Altstadt mit Mähntor & Obertor, Stadtpfarrkirche St. Johannes Baptist, Zehentstadl/Stadtmuseum, Pflegschloss & Pulverturm, Friedhofskirche St. Georg (Storchennest), St. Laurentius (spätgotisch), Nikolauskirche im Stadtteil „Venedig“.
- Grün & Wasser: Alte Naab (Naherholung), Storchenbiotop; ruhige Bänke fürs „Erstes-Brotzeit-Foto“.
- Ton & Textur: Pflaster, kurze Rampen, dann flacher Auslauf Richtung Schwarzach – ideal zum Einrollen.
- Kaffee & Kalorien: Marktplatz-Café (Blick aufs Rathaus); Bäckerei-Proviant fürs nächste Mauerstück.
- Weiterrollen: Ausfahrt ostwärts in Richtung Schwarzach – Flussnähe, still, erzählerisch.
Zwischen Altendorf und Zangenstein – vom Glauben an Granit
Die Schwarzach begleitet uns mäandernd wie eine störrische Freundin: mal links, mal rechts, mal spurlos verschwunden. In Altendorf erhebt sich die Kirche St. Andreas auf einer kleinen Anhöhe, flankiert von ihrem barocken Langhaus – eine stille Majestät aus dem 14. Jahrhundert. Daneben das Alte Schloss, dreigeschossig, mit Treppenturm und Sprenggiebel – Zeuge einer Zeit, als hier noch Freiherren und Freisinnige Hof hielten. Der Weg hinauf zum Kalvarienberg lohnt die Schweißperlen: Vierzehn Granitpfeiler mit Gipsreliefs, Kreuzwegstationen aus dem 19. Jahrhundert, die vom Fleiß der Dorfbildhauer erzählen. Oben steht die Kreuzigungsgruppe im Wind, flankiert von zwei kleineren Kreuzen, rostig und erhaben.
Der Blick reicht weit über die Flussschleifen, das Holz dampft, die Sonne kämpft – ein Schauspiel aus Demut und Durchhaltevermögen. Vielleicht ist es noch etwas zu früh für die erste Pause, aber es nützt ja nichts: Wenn ein Dorf schon mal zwei Wirtshäuser gegenüber trägt, muss man im bestbürgerlichen Gasthof Schiesl gegen das Wirtshaussterben anessen (Neunburger Straße 9 | 92540 Altendorf | Tel.: 09675 215 | Mail: robert.schiesl@t-online.de) – und im Sorgenfrei (Neunburger Str. 10 | 92540 Altendorf | Tel. 09675 389) tief in Günters erstaunliche Whiskyglas-Sammlung von Walburga und Günter Graf blicken.
Schon blitzt hinter den Feldern die Ruine Zangenstein auf: Burghügel, Hammerwerk, Schlosskapelle – ein Ensemble, das Geschichte atmet und Moos trägt. Hier wurden Hämmer nicht nur geschwungen, sondern geschmiedet: Schon im 14. Jahrhundert stand der „Hammer zu Zangenstein“, gespeist von der Schwarzach. Die emz, eine der großen Oberpfälzer Erfolgsgeschichten, nahm hier 1948 ihren Anfang – aus Hausfrauenhandarbeit wuchs Hightech. Vom Wasserrad zum Weltmarktführer – wer sagt’s denn, dass Erfindergeist nicht aus Granit sprießt?
Trojaburg, Pertolzhofen und die Kunst der Umwege
Hinter Zangenstein ändert sich der Ton. Der Asphalt wird rau, das Licht silbrig. In Uckersdorf, wo nach langer Geduldsprobe die Brücke samt Radweg daneben demnächst fertiggestellt werden dürfte, leuchtet gleich hinter dem ehemaligen Baumarkt in einer Gründerzeit-Villa ein steinernes Labyrinth aus dem Gras: die Trojaburg. Kein Vergnügungspark, kein Kitsch – sondern ein steinernes Sinnbild. 18 Meter Durchmesser, 250 Meter Weg. Wer’s betritt, verliert die Richtung, gewinnt Geduld. Gerhard Würl hat’s gebaut – als Ort des Nachdenkens und der Sommersonnenwendlichter. Jedes Jahr im Juni flackern hier Teelichter wie kleine Seelen, die den Weg suchen.
Dann taucht Pertolzhofen auf – ein Dorf wie ein Fußnotenverzeichnis des Mittelalters. Seit 1150 steht hier die romanische Kirche Maria Immaculata, einst Wallfahrtsziel für Kranke aus Bayern und Böhmen. Heute ruhiger, aber nicht vergessen. Am Radweg: die mobile Kunsthalle – ein Container mit Herz, durch dessen Fenster man rund um die Uhr Kunst sieht. Maria Immaculata auf einer Leinwand aus Nebel und Wellblech. Schade nur, dass der Gasthof nur noch ein trauriger Schatten besserer Zeiten ist – die Stodlwirtschaft tut als Radler-Bahnhof sein Bestes, um durstige und hungrige Strampler zumindest am Wochenende zu versorgen.
Oberviechtach – Eisenbarth, Eisen und Erinnerung
Mit jedem Kilometer wachsen wir jetzt über uns hinaus – in luftige Höhen, dass wir uns fast bis zum Haus Murach, der Burgruine auf der 585 Meter hohen Bergkuppel, strecken können. Die Burg der Grafen von Sulzbach aus dem frühen 12. Jahrhundert sollte die Handelswege nach Prag durch das Siedlungsgebiet der westslawischen Choden und die deutschen Siedlungen im Oberpfälzer Wald an der Grenze zu Böhmen sichern.
Oberviechtach, das klingt nach Märkten, nach Bürgerstolz, nach dem berühmtesten Sohn: Doktor Eisenbarth. Er, der Heiler und Hochstapler, der Bader und Barde – hier geboren, hier verklärt, hier gefeiert. Auf dem Marktplatz sprudelt sein Brunnen, daneben das Eisenbarth- und Stadtmuseum, drinnen Scherenschnitte, Chirurgie-Instrumente, Kuriositäten. Doch Oberviechtach ist mehr als Kurpfuscherei im Barock. Die gotische Pfarrkirche St. Johannes der Täufer, die alte Bahntrasse – alles erzählt vom ewigen Versuch, das Grobe zu verfeinern. Und dann dieses WTC-Mahnmal, ein Stahlträger aus New York, gebettet auf Granit: globale Erinnerung in oberpfälzischem Format.
Wenn’s regnet, tropft Geschichte. Pause im trockenen Warmen mit einer Tüte frischem Popcorn beim „Kanu des Manitu“ gefällig? Das Programm des Lichtspielhauses ist für ein Städtchen der Größe OVIs up to date – und im El Camino (Marktplatz 1 | 92526 Oberviechtach | Tel. 09671/1503) gegenüber schmeckt der Burger um Klassen besser als beim Fastfood-Krösus.
Zwischen Schneeberg und Gaisthal – das Schweigen des Eisens
Hinter Oberviechtach wird die Landschaft einsilbiger. Schneeberg liegt wie ein Halbsatz im Tal, eine Handvoll Häuser, ein Bach, eine Kirche. Früher Eisenhammer, später Ödnis. Heute still. In der romanischen St.-Wolfgangs-Kirche stehen zwei Holzfiguren aus dem 18. Jahrhundert – Johannes und Petrus, halb abgenutzt, halb wachsam. Draußen rauscht die Ascha, drinnen klingt das Holz wie Orgel.
Dann steigt der Weg, unmerklich erst, dann entschlossen. Der Frauenstein wächst aus dem Nebel, 887 Meter, mit Kreuz und Sage. Wer das Holz vom Kreuz zerkaut, so heißt es, verliert Zahnschmerz und Zweifel. Die Jugend von Weiding pilgert in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag hierher, mit Bier und Legende im Gepäck – eine Prozession aus Mut und Humor.
Unten im Tal: Gaisthal, wo der Hammer wieder schlägt – wenn auch nur als Name. Der „Gaisthaler Hammer“ war einst Blüte und Brennofen, im 18. Jahrhundert ein Hochofen mit zwei Blasebälgen. Heute klappert hier keine Esse mehr, sondern das Geschirr in der Gastwirtschaft gleichen Namens. Es riecht nach Bratensoße und Holzofen. Wer hier einkehrt, hat sich das verdient.
Schönsee – Klöppel, Kunst und Grenzen
Ein letzter Anstieg, dann breitet sich Schönsee aus, ein kleines Juwel im Windschatten des Frauensteins. Seit 1354 Markt, später Stadt, dann Zonenrandgebiet – heute wieder Mitte Europas. Die Pfarrkirche St. Wenzeslaus leuchtet in hellem Putz, dreimal abgebrannt, dreimal wieder auferstanden. Drinnen Orgelklang, draußen die Ahnung, dass man hier nie ganz fertig wird mit der Geschichte.
Ein paar Schritte weiter das CeBB, das Centrum Bavaria Bohemia, das ehemalige Kommunbrauhaus, Denkmal des umtriebigen Altbürgermeisters Hans Eibauer, stilvoll modernisiert vom Tirschenreuther Stararchitekten Peter Brückner – Glashaus, Galerie, Grenzdialog. Hier trifft Klöppelspitze auf Kulturpolitik, hier lernt man, dass Nachbarschaft mehr ist als eine Linie auf der Karte. Schönsee spinnt Europa im Kleinen – mit Faden, Humor und Fernsicht.
Stadlern und der letzte Stein
Noch ein paar Kurven, noch ein paar Hügel. Stadlern liegt, wie es der Name verspricht, ein wenig abseits. Die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt trägt über der Tür ein Hufeisen – Erinnerung an einen Ritter, der sich im Böhmerwald verirrte und hier sein Gelübde einlöste. Innen gotischer Chor, außen stiller Stolz.
Und dann: die Grenze. Ein paar verstreute Häuser, ein alter Zollposten mit Halbwalmdach, der Bach, die Brücke. Das Schild „Tschechische Republik“ steht schief, als hätte es selbst den Wind satt. In Schwarzach drüben, wo früher Glashütten flackerten, liegt nun Stille – bis zum nächsten Sommerwind, der wieder nach Hopfen riecht und nach Heimat auf beiden Seiten.
Von der Schwarzach an den Schönsee
- Länge: ca. 45 km
- Höhenmeter: 450 m auf, 380 m ab
- Wegcharakter: Ehemalige Bahntrasse bis Schönsee, dann ruhige Nebenstraßen; kurz vor der Grenze leicht alpin.
- Einkehrtipps:
- Gaisthaler Hammer – Brotzeit & Bratenduft im Schatten alter Schmiede.
- Oberviechtach Markt-Café – Süßes nach Sattel.
- CeBB Schönsee – Kaffee & Kultur zwischen Sprachen.
- Besonderheiten:
- Trojaburg Uckersdorf – Labyrinth der Geduld
- Kirche Maria Immaculata Pertolzhofen – Romanik mit Nachdruck
- Burgruine Murach – Aussicht mit Sagenbonus
- Böhmerwaldturm bei Schönsee – Weitblick deluxe
Tagesmotto: „Zwischen Hammer und Himmel – wer hier strampelt, versteht Europa auch ohne Vertrag.“
Von Schönsee über die grüne Grenze
Es riecht nach Regen und Rost, als wir die Grenze überqueren. Kein Schlagbaum mehr, nur ein Schild, das seine Farbe verloren hat. Hinter uns der letzte bayerische Bäcker, vor uns Böhmen – mit jenem Duft von Birkenrauch und Melancholie, der einem sofort in die Knochen kriecht. Die Landschaft wirkt vertraut und doch verschoben, wie ein Spiegelbild im unruhigen Wasser: dieselben Hügel, andere Geschichte.
Ein alter Radweg zieht sich entlang der stillgelegten Bahnlinie nach Poběžovice. Zwischen Disteln und verwitterten Telegrafenmasten blitzen rostige Kilometersteine hervor – Mahnmale einer Verbindung, die zu lange unterbrochen war. Die Dörfer tragen Namen, die klingen, als spräche jemand rückwärts Gebete: Luženičky, Hostíčkov, Poběžovice – und jedes hat seine Wunde, sein Lächeln, seinen Stolz.
Poběžovice – wo die Zeit unter Coudenhove schläft
Poběžovice, das ehemalige Ronsperg, empfängt uns mit Stille. Das Schloss liegt da wie ein schlafender Riese – barocke Fassade, zerbrochene Fenster, bröckelnde Stuckgirlanden. Hier wirkte einst Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi, Diplomat, Denker, Kosmopolit. Sein Sohn Richard Nikolaus, geboren 1894, war der Visionär des „Paneuropa“-Gedankens – lange bevor Brüssel sich einen Namen machte. Mit „Der böhmische Samurai“ setzte Weltbürger Bernhard Setzwein dem Kosmopoliten ein erzählerisches Denkmal.
Die Mutter, eine japanische Adelstochter namens Mitsuko Aoyama, brachte Teezeremonie und fernöstliche Disziplin nach Böhmen. Das Paar wurde belächelt, bestaunt, vergessen – und jetzt steht man hier, am vergilbten Schlossportal, und spürt: Europa begann nicht in Konferenzsälen, sondern in Herzen, die Grenzen überschritten. Auf der Wiese vor dem Schloss streichen Wind und Erinnerung über dieselben Gräser. Die Stadt bemüht sich, den Ort wachzuküssen – mit Ausstellungen, Führungen, Hoffnung. Ein paar Meter weiter knattert ein Traktor, Kinder jagen einem Ball nach. Das Leben hat wieder Töne.
Meclov – das Flüstern der Kapellen
Von Poběžovice führt der Weg durch Felder, die so weit sind, dass man meint, sie enden in einem anderen Jahrhundert. In Meclov (Metzling) erhebt sich die barocke Kirche St. Nikolaus, ein Werk des böhmischen Barock in seiner stillsten Form: keine Pracht, sondern Würde. Überall kleine Kapellen, verwittert, mit Gesichtern von Heiligen, die den Regen längst gewohnt sind.
Wir halten kurz, lehnen die Räder an die Mauer und lauschen: Glocken, Vögel, der ferne Ruf eines Hahns. Alles klingt wie ein Gebet in Moll. Am Ortsrand ein kleiner Friedhof, in dem Deutsch und Tschechisch nebeneinander auf den Steinen wohnen. Die eine Hälfte verweht, die andere neu gesetzt. Geschichte, die nicht schreit, sondern flüstert.
Horšovský Týn – die Bühne des Barocks
Dann öffnet sich das Tal – und da liegt es: Horšovský Týn, das alte Bischofsheim, das wie eine Theaterkulisse im Grünen steht. Renaissance-Schloss, Arkadenhof, der Duft von Linden und Pflaumenbrand. Hier, im ehemaligen Bistum von Regensburg, flossen einst Macht und Musik zusammen.
Das Schloss mit seinem hellen Putz, den doppelläufigen Treppen, den Sgraffito verzierten Wänden, ist einer jener Orte, an denen man fast leise wird. Auf der Terrasse unter den Lauben flattern Tauben, Touristen schlendern durch den Hof, und irgendwo spielt jemand Akkordeon.
Im Inneren hängen Gobelins, Ritterrüstungen, vergilbte Landkarten – aber draußen liegt das wahre Museum: die Stadt selbst. Kopfsteinpflaster, Barockgiebel, Brunnenfiguren, Cafés mit Mohnkuchen und melancholischem Lächeln. Wer sich Zeit nimmt, erkennt: Hier hat das Vergessen nie gesiegt.
Böhmische Etappe: Von Schönsee nach Horšovský Týn
- Länge: ca. 55 km
- Höhenmeter: 420 m
- Charakter: Grenzübergreifend, teils Schotter, teils Asphalt, landschaftlich überwältigend, kulturell berührend.
- Highlights:
- Schloss Poběžovice (Coudenhove-Kalergi, Paneuropa)
- Kirche St. Nikolaus Meclov (böhmischer Barock)
- Schloss Horšovský Týn (UNESCO-Vorschlagsliste)
- Einkehr:
- Kaffee und Koláče in Poběžovice
- Pivo im Schlosshof Horšovský Týn
- Geheimtipp:
Am Abendlicht auf der Schlossrampe Horšovský Týn verweilen – das Panorama atmet Geschichte und Gelassenheit.
Der Rückweg – Regen, Rost und Rosen
Wir rollen weiter Richtung Westen, durch Wälder, die dunkler sind als daheim, aber freundlicher im Ton. Die Sonne kämpft, der Regen gewinnt, dann wieder umgekehrt – typisch Böhmen. In den kleinen Ortschaften grüßen alte Frauen mit Kopftuch, Kinder winken, Hunde bellen in allen Dialekten.
An einer verlassenen Bahnstation lehnen wir die Räder an eine Bank. Auf der Wand ein verblasstes Schild: Horšovský Týn – Domažlice 22 km. Der Zug fährt längst nicht mehr, aber der Wind zieht wie ein unermüdlicher Reisender durchs Tal. Und während wir den letzten Schluck aus der Flasche nehmen, denken wir an Coudenhove, an Grenzerfahrungen, an Europa im besten Sinn: als geteilte Geschichte, die nur dann lebt, wenn man sie erzählt – oder, besser noch, erradelt.
Bayerisch-Böhmischer Freundschaftsweg
Gesamtlänge: ca. 138 km
Gesamthöhenmeter: rund 950 m auf / 1 050 m ab
Empfohlene Etappen:
1️⃣ Nabburg – Schönsee (ca. 70 km)
Über Schwarzach, Altendorf, Oberviechtach – mit Burgen, Hammerwerken und Granitgeschichten.
2️⃣ Schönsee – Horšovský Týn (CZ) (ca. 55 km)
Grenzübertritt bei Stadlern, über Poběžovice und Meclov in die barocke Bischofsstadt.
👉 Optional: Verlängerung nach Domažlice (+20 km)
Wegcharakter:
Ehemalige Bahntrassen, Wald- und Flurwege, wenig befahrene Nebenstraßen. Teils asphaltiert, teils fester Schotter – ideal für Trekking- oder Gravelbikes.
Höchster Punkt: Grenzpass Stadlern (655 m)
Tiefster Punkt: Horšovský Týn (362 m)
Sehenswert unterwegs:
- Burgruine Zangenstein und die Trojaburg bei Uckersdorf
- Oberviechtach: Eisenbarth-Museum & Murach-Burg
- CeBB Schönsee: Centrum Bavaria Bohemia – Kulturdialog an der Grenze
- Schloss Poběžovice: Sitz der Familie Coudenhove-Kalergi, Wiege der Paneuropa-Idee
- Renaissance-Schloss Horšovský Týn: barocke Bilderbuch-Kulisse
Einkehrtipps:
🍺 Gaisthaler Hammer – deftige Brotzeit im alten Eisenwerk
☕ Kavárna Poběžovice – Koláče & Kultur
🍻 Schlosshof Horšovský Týn – Pivo mit Blick auf Arkaden und Zeitgeschichte
Beste Reisezeit: Mai bis Oktober – bei Frühnebel, Blüten oder Altweibersommer gleichermaßen stimmungsvoll.
Schwierigkeitsgrad: Leicht bis mittel; moderate Steigungen, lange Rollpassagen bergab.
Besonderheit: Europäische Kulturgeschichte auf einer Tageskarte – keine Fähre, kein Pass nötig, nur Geduld und Freude am Gleichgewicht.














































































































































