Ein Nazi als Namensgeber: Erneute Diskussion um Dr.-Johann-Stark-Straße
Ein Nazi als Namensgeber: Erneute Diskussion um Dr.-Johann-Stark-Straße
“Heutzutage würde niemand mehr eine Straße nach ihm benennen”, sagt Sebastian Schott, Leiter des Stadtarchivs in Weiden. Stark war der einzige Nobelpreisträger der Oberpfalz – “aber er war eben auch ein übler Nazi.” Der Physiker war überzeugter Antisemit und völkischer Agitator. 1972 hatte man sich über die braune Vergangenheit offenbar weniger Gedanken gemacht: Der Stadtrat benannte eine Straße im Gewerbegebiet Pfreimter Weiher nach ihm. Erst 2007 regte sich Protest: Der Stadtjugendring forderte eine Umbenennung. Am Ende entschied der Stadtrat, dass eine erklärende Tafel unter das Straßenschild montiert wird.
Albert Einstein als Zeuge gehört
Historiker Schott könnte damit leben: “Ich halte es nicht für verkehrt, sich auch mit gebrochenen Biographien auseinanderzusetzen. Vielleicht kann man daraus lernen.” Stark sei Beispiel für eine typische Karriere seiner Zeit. Der Physiker habe sich nicht nur politisch völlig verrannt. Auch sein wissenschaftlicher Stern ging nach dem Nobelpreis schnell unter. Stark verweigerte sich der Weiterentwicklung der Physik.
Im Spruchkammerverfahren gegen den Oberpfälzer sagte als Zeuge Kollege Albert Einstein aus, wenn auch nur in schriftlicher Form: “Johannes Stark war stets ein höchst egozentrischer Mensch von ungewöhnlich starkem Geltungsbedürfnis. Seine Gegnerschaft gegen die Relativitätstheorie und sein ganzes politisches Verhalten beruhen auf diesem paranoiden Grundzug seiner Persönlichkeit.”
Studie über Straßennamen
Dass man das alles so genau weiß, ist einem weiteren Historiker zu verdanken: Dr. Marc Rothballer. Der frühere Kepler-Abiturient – aufgewachsen in Weiherhammer, jetzt bei Passau wohnhaft – hat seine Doktorarbeit über Straßennamen geschrieben. Die Studie ist kürzlich im Pustet-Verlag erschienen (siehe Infobox). Titel: “Ehrenmänner und Straßenfeger – eine vergleichende Studie von Straßennamen, Diskursen und Ehrregimen in Passau und Weiden”.
Ein absolut lesenswertes Werk, prallvoll mit den Biographien verdienter und nicht-verdienter Weidener. Rothballer will sich nicht zum großen Ratgeber aufschwingen. “Diese Arbeit gibt keine Empfehlung.” Im Interview bezieht er dennoch eindeutig Position: Für ihn gibt es zur Umbenennung der Dr.-Johann-Stark-Straße keine Alternative. “Wäre ich Stadtrat und müsste darüber entscheiden: Selbstverständlich würde ich der Straße einen anderen Namen geben, und ohne jedes Zögern. Wer möchte schon einen Antisemiten ehren?”

Interview mit Historiker zu Nazi-Straße in Weiden: Umbenennen ohne Zögern
Weiden. Der Historiker Dr. Marc Rothballer hat zur Namensgebung von Straßen in Weiden und Passau geforscht. In seinem Buch "Ehrenmänner und Straßenfeger", 2025 erschienen im Verlag Friedrich Pustet, greift er auch ein heißes Eisen in der Stadt Weiden auf: die Dr.- Johann-Stark-Straße in der Mooslohe.
Viele echte Helden ohne Ehrung
Nach der Lektüre seiner Studie fragt man sich eben schon, warum es eine Dr.-Johann-Stark-Straße gibt. Oder eine Lönsstraße, benannt nach dem Schriftsteller Hermann Löns, den Historiker als “darwinistischen Heimatdichter” bezeichnen, der den Nationalsozialismus verherrlichte.
Wie schön wären da Straßennamen von echten Helden. Widerstandskämpfer gab es in Weiden tatsächlich einige. Und auch ihre Geschichten hat Rothballer für sein Buch recherchiert. Etwa SPD-Parteisekretär Fritz Ecker, Autor von “Die Hölle von Dachau” aus dem Jahr 1934, oder Heinrich Rott, ebenfalls ein Sozialdemokrat, der eine Weidener Jüdin versteckte.
Rothballer nennt als Gegner des NS-Regimes auch Dekan Schaudig und Kooperator Saller, die kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner die kampflose Übergabe der Stadt befürworteten. Sie sollten deshalb noch in der Nacht des 22. April 1945 erschossen werden. Sie bleiben bisher ohne Ehrung – zumindest was Straßenschilder angeht.
Hitler in Starks Villa in Weiden?
Mit dem Geld aus dem Nobelpreis ließ sich Johann Stark (geboren 1874 in Schickenhof bei Thansüß) 1921 eine Villa in Ullersricht bei Weiden errichten. Hartnäckig hält sich die Erzählung, dass Adolf Hitler hier nach seiner Rede in Weiden 1932 eine Nacht verbrachte. Beweisen lässt sich das laut Historiker Schott nicht. Widerlegen auch nicht. Passen würde es schon: Stark war nach eigenen Angaben ab 1928 mit der Parteielite und dem Münchner Kreis um Hitler in engerem Kontakt. Und: Am nächsten Tag trat Hitler in Oberfranken auf.
In einem Spruchkammerverfahren 1947 war Stark als Hauptschuldiger (Kriegsverbrecher) eingestuft und zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Die Berufungsverhandlung führte – wie generell in den Entnazifizierungsverfahren – 1949 zu der milderen Einstufung als Mitläufer und zu einer Geldstrafe. Die Jahre bis zu seinem Tod 1957 verlebte er bei Traunstein.
Diskussion wurde schon einmal geführt
Stadtrat Ali Zant (Soziale Bürger Weidens) hat das Thema erneut in den Stadtrat gebracht. Er beantragt die Umbenennung der Dr.-Johann-Stark-Straße in Heinrich-Hertz-Straße. Hertz (1857-1894) war ein Physiker jüdischen Glaubens, dessen Nachfahren im NS-Staat verfolgt wurden. Für Zant wäre “gerade jetzt” der richtige Zeitpunkt für eine Umbenennung: “in Zeiten der politisch immer stärker werdenden Rechtspopulisten”.
So viel steht jetzt schon fest: Die Verwaltung wird vorschlagen, die Stark-Straße nicht umzubenennen. Argumentation: Die Diskussion ist in der Vergangenheit bereits ausführlich geführt worden. 2008 war – nach dem Anstoß durch den Stadtjugendring – eine Arbeitsgruppe gegründet worden. Diese stimmte am Ende mehrheitlich gegen die Umbenennung. Ein Grund waren die Bitten der Anlieger, größtenteils Gewerbetreibende, auf die ein gewisser Aufwand zugekommen wäre. Als Kompromiss wurde ein erklärendes Zusatzschild beschlossen.
Künftig, auch das steht im Beschlussvorschlag, wolle man die Vergangenheit von Personen bei der Namensvergabe von Straßen detailliert prüfen.
Buchtipp: “Ehrenmänner und Straßenfeger”, Dr. Marc Rothballer
Zum Inhalt: Straßennamen sind weit mehr als bloße Orientierungshilfen – sie spiegeln gesellschaftliche Machtkämpfe, Identitätsfragen und politische Diskurse wider. In dieser Studie werden die Straßenbenennungen in Passau und Weiden erstmals vergleichend unter die Lupe genommen und die dahinterliegenden Ehrregime, Benennungsmotive und Kontroversen beleuchtet. Im Fokus stehen insbesondere Personen der NS-Zeit, über deren Ehrwürdigkeit bis heute diskutiert wird. Dieser Band eröffnet dabei neue Perspektiven auf die symbolische Bedeutung von Straßennamen, die Verhandlungen um Erinnerungskultur im Verlauf der letzten zweihundert Jahre und die daran beteiligten Akteure.
Der Autor: Marc Rothballer, Dr. phil, geb. 1986, studierte Soziale Arbeit, Europäische Kulturwissenschaft und Geschichte in Nürnberg und Passau. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der freien Wohlfahrtspflege.
Der Titel: “Ehrenmänner und Straßenfeger – Eine vergleichende Studie von Straßennamen, Diskursen und Ehrregimen in Passau und Weiden”, ISBN 9783791735610, 608 Seiten, Verlag Friedrich Pustet, 56 Euro.




