Genusspunkte
Genusspunkte

Kiffen erlaubt: Jugendrichter hält neues Gesetz für grundverkehrt

Weiden. Kiffen künftig erlaubt. Der Jugendrichter am Amtsgericht Weiden hält das neue Cannabisgesetz für eine völlig falsche Entscheidung. Am Montag verhandelt er einen "typischen Fall".

Kiffen erlaubt: Jugendrichter hält neues Gesetz für grundverkehrt

Drogen Cannabis, Marihuana Polizei Joint
Symbolfoto: Pixabay

Der junge Mann ist 18 Jahre alt und stammt aus dem westlichen Landkreis Neustadt/WN. Er schlurft zum Gerichtsaal des Jugendrichters, schaut nicht links, schaut nicht rechts. Den Weg kennt er schon.

Am Montag kassiert er überraschend kein Urteil, sondern eine Einstellung des Verfahrens. Es geht um den Besitz von 10,9 Gramm Haschisch. Keine große Sache, aber bei den Vorstrafen des 18-Jährigen wären jetzt ein, zwei Wochen Dauerarrest fällig. Richter Wolfgang Höreth lässt den 18-Jährigen straflos. “Ein Urteil wäre das Papier nicht wert, auf das ich das jetzt schreiben würde.” Die Vollstreckung ist eventuell nicht mehr möglich.

“Werden Sie weiterkiffen?” – “Naja, schon”

Die Justiz rechnet in wenigen Monaten mit dem Inkrafttreten der neuen Cannabisgesetze. Bis zu 25 Gramm Eigenbesitz wären dann nicht strafbar. “Haben Sie das überhaupt mitbekommen?”, fragt der Jugendrichter den Angeklagten. “Ich hab das mitbekommen”, sagt er. “Werden Sie dann weiter kiffen, wenn das jetzt erlaubt ist?” Antwort: “Naja, schon, ab und zu.”

Der Jugendrichter macht aus einer Besorgnis über die Legalisierung keinen Hehl. “Sie sind das beste Beispiel, wo die Probleme mit Cannabis hinführen können: Ein labiler Jugendlicher, der durch den Konsum von Cannabis sein Leben nicht mehr auf die Reihe bringt.”

Erziehungsbeistand, Heim, Psychiatrie

Eine Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe zeichnet den Lebensweg nach. Kindergarten, Grundschule, Noten zum Realschulübertritt. Die Schwierigkeiten beginnen in der Pubertät. Das Jugendamt stellt der Familie erst einen Erziehungsbeistand zur Seite. Als “das ambulante Setting nicht mehr reicht”, kommt er ins Kinderheim. Mit 15 raucht er den ersten Joint. Nach anderthalb Jahren verlässt er die Wohngruppe wegen “Unstimmigkeiten mit dem Personal”.

Seither lebt er wieder daheim, unterbrochen von einem stationären Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Den Mittelschulabschluss bekommt er noch hin. Die Lehre bricht er ab. Das Berufsschuljahr bricht er ab. Er lebt von Taschengeld, das ihm die Mutter gibt. Sie sitzt hinten im Gerichtssaal und ist nicht zu beneiden.

Grammer Solar
Grammer Solar

Tatverdächtiger bei Überfall in Park

Das Bundeszentralregister füllt sich: erst Sachbeschädigung in fünf Fällen, dann gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (an Silvester bekifft Kanaldeckel ausgehoben). Im Juni nahm ihn die Polizei Eschenbach fest. Er stand im Verdacht, mit fünf anderen in einem Park im westlichen Landkreis Neustadt/WN einen Mann (33) überfallen zu haben. Beute 40 Euro.

Die Polizei stellte die Jacken der Verdächtigen sicher. Der Kriminalbeamte, der in Weiden die Beweismittel auswertete, brauchte keine besonders gute Nase: “Aus einer der Kisten kam mir Cannabis-Geruch entgegen.” In der Jacke des 18-Jährigen fand er einen Haschischbrocken.

Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe stellt “noch” eine günstige Sozialprognose aus. Weitere Maßnahmen stellt sie “ins Ermessen des Gerichts”. Der Jugendrichter ist jede Woche mit solchen Fällen konfrontiert. “Das Gericht soll sich dann Gedanken machen, wie man damit umgeht.”

Kritik an Regierung

Richter Höreth macht seinem Frust Luft: “Und unsere Regierung meint jetzt, das ist in Ordnung. Indem wir das Ganze fördern. Indem jeder kiffen kann, wie er will.” Im Hinblick auf die zu erwartende Gesetzeslage wäre die Verhängung von Arrest aus seiner Sicht “ein Hohn”. Er stellt das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwältin ein.

Der Jugendrichter appelliert dringend (und vermutlich vergeblich) an den jungen Mann, künftig die Finger von Cannabis zu lassen. “Sie werden sonst weiterhin nichts auf die Reihe bringen.” Er warnt vor drogeninduzierten Psychosen. “Oder Sie wickeln sich im Drogenrausch um einen Baum.”

Neues Cannabis-Gesetz: Haftentlassungen möglich?

Bleibt es beim aktuellen Gesetzentwurf, kommt es 2024 möglicherweise zu Haftentlassungen nach Inkrafttreten des neuen Cannabis-Gesetzes. Betroffen wären alle Verurteilten, die wegen des Besitzes von unter 25 Gramm Haschisch im Gefängnis sitzen. Das kann bei entsprechenden Vorstrafen durchaus der Fall sein.

Nach Auskunft von Wolfgang Voit, Sprecher der Staatsanwaltschaft Weiden, gab es etwas Ähnliches 1994, als Paragraf 175 (sexuelle Handlungen unter Männern) aufgehoben wurde. In diesem Fall kam es 2017 auch zur Rehabilitation der ehemals Verurteilten.

Voit hält es für möglich, dass der Stichtag für das Cannabis-Gesetz noch auf den Zeitpunkt der Verurteilung geändert wird. Dann wären auch die Haftentlassungen vom Tisch.